LG Berlin – Az.: 43 O 313/10 – Urteil vom 28.03.2011
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % hiervon vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Fahrzeugversicherung (in der Form der Vollkaskoversicherung), die er für den Pkw Mercedes-Benz Vito 112 CDI (amtliches Kennzeichen: B-…) bei der Beklagten nach Maßgabe von deren Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (Teile A und C (05.1) mit Stand vom 15. April 2006, im Folgenden: AKB) mit einer Selbstbeteiligung von 150 € bei Teilkaskoschäden und von 500 € bei Vollkaskoschäden abgeschlossen hatte.
Das Fahrzeug hatte der Kläger, der eine Firma für Sicherheitstechnik betreibt, im November 2005 geleast, wobei eine Leasinglaufzeit von 48 Monaten vereinbart worden war.
Der Kläger überließ das Fahrzeug für zwei Jahre seinem freien Mitarbeiter Michael … . Dieser sollte durch die Überlassung des Fahrzeugs erleichtert für den Kläger arbeiten und auch anderweitig Geld verdienen können. Die ursprünglich zum 31. Dezember 2007 vorgesehene Rückgabe des Fahrzeugs wurde auf Wunsch von Herrn … mehrfach aufgeschoben. Zuletzt verlangte der Kläger erfolglos eine Rückgabe zum 15. Juli 2008.
Der Kläger stellte am 18. Juli 2008 Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin gegen Herrn … wegen Unterschlagung. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren im Mai 2009 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO ein.
Am 16. Dezember 2008 erstattete Herr … bei dem Polizeipräsidium Frankfurt (Oder) Diebstahlsanzeige, wobei er den Tatzeitraum mit 1. August 2008 bis 1. November 2008 angab.
Mit den Schreiben vom 24. Oktober 2008 und 20. August 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung von Versicherungsschutz für das behauptete Schadensereignis ab.
Der Leasingvertrag wurde Ende des Jahres 2008 abgerechnet und Anfang Januar 2009 eine Zahlungsvereinbarung getroffen.
Der Kläger trägt vor: Das Fahrzeug sei bei Herrn … zu einem unbekannten Zeitpunkt im Zeitraum zwischen Ende Juli 2008 und Anfang Dezember 2008 gestohlen worden.
Herr … habe das Fahrzeug Ende Juli 2008 auf dem Hof des Grundstücks … Straße 5 in … Rüdnitz abgestellt und den Diebstahl jedenfalls vor dem Tag seiner Anzeige desselben bemerkt.
Ihm sei folgender Schaden entstanden und nunmehr zu ersetzen:
Wiederbeschaffungswert netto 11.150 €
abzüglich Selbstbeteiligung in der Teilkaskoversicherung – 150 €
gesamt 11.000 €
Außerdem verfolgt der Kläger die Zahlung von 24 € für Akteneinsichten und der nach einem Gegenstandswert von 10.000 € und unter Zugrundelegung eines Gebührensatzes von 1,3 berechneten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 684,45 € netto (einschl. „Dokumentenpauschale für 101 Seiten“, Rechnung vom 19. November 2009, Anlage K 8 zur Klageschrift).
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2009 sowie weitere 24 € und weitere 684,45 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet u. a. den Eintritt eines versicherten Ereignisses und die Anspruchshöhe.
Mit dem Beschluss vom 23. Februar 2011 hat die nach § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe h ZPO zuständige Kammer den Rechtsstreit gemäß § 348 a Abs. 1 ZPO auf den nach ihrer Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und der zum Beleg des entsprechenden Vortrages beigefügten Anlagen Bezug genommen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) – 219 U Js 5485/09 – hat dem Gericht zur Information vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Berlin wegen des nach § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG maßgeblichen Wohnsitzes des Klägers örtlich zuständig.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Kläger ist als Versicherungsnehmer grundsätzlich aktivlegitimiert. Ob er tatsächlich insgesamt Zahlung an sich verlangen kann oder nicht zumindest teilweise an die Leasinggeberin als der materiell berechtigten Versicherten – bei der hier vorliegenden Versicherung für fremde Rechnung – verlangen müsste, mag dahinstehen.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 1 Satz 1 VVG, § 12 Abs. 1 Buchstabe b, § 13 AKB zu.
Ein versichertes Schadensereignis liegt nach dem Vortrag des Klägers nicht vor.
Nach den genannten Bestimmungen hat in der Schadensversicherung der Versicherer nach dem Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsnehmer den dadurch verursachten Vermögensschaden nach Maßgabe des Vertrages zu ersetzen, wobei der Schadensersatz in Geld zu leisten ist; Leistungsgrenze ist gemäß § 13 Abs. 1a Satz 1 AKB der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs oder seiner Teile am Tage des Schadens, soweit in den folgenden Absätzen nichts Weiteres bestimmt ist.
Die Fahrzeugversicherung im Sinne der §§ 12 ff. AKB (Kaskoversicherung) umfasst u. a. die Beschädigung, die Zerstörung und den Verlust des Fahrzeugs und deckt den unmittelbar an dem versicherten Fahrzeug als Transportmittel entstehenden Sachschaden, soweit dieser etwa auf einer Entwendung beruht (§ 12 Abs. 1 Buchstabe b AKB).
Allerdings ist nicht jeder Fall der Entwendung umfasst. Der hier vorliegende Fall der Entwendung durch eine Unterschlagung bei vorheriger Gebrauchsüberlassung ist nicht versichert, sondern in § 12 Abs. 1 Buchstabe b Satz 2 AKB ausdrücklich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Die vertragliche Bestimmung lautet:
§ 12 Umfang der Versicherung
(1) Die Fahrzeugversicherung umfasst die Beschädigung, die Zerstörung und den Verlust des Fahrzeugs einschließlich der durch die nachstehende Liste als zusätzlich mitversichert ausgewiesenen Fahrzeug- und Zubehörteile
b) durch Entwendung, insbesondere Diebstahl, unbefugten Gebrauch durch betriebsfremde Personen, Raub und Unterschlagung.
Die Unterschlagung durch denjenigen, an den der Versicherungsnehmer das Fahrzeug unter Vorbehalt seines Eigentums veräußert hat, oder durch denjenigen, dem es zum Gebrauch oder zur Veräußerung überlassen wurde, ist von der Versicherung ausgeschlossen; …“
(Hervorhebung durch das Gericht)
Ob das Fahrzeug nach der Unterschlagung durch den früheren freien Mitarbeiter des Klägers, … , dann – auch – diesem entwendet wurde, ist unerheblich, weil diese nachfolgende Entwendung eben nicht mehr beim Versicherungsnehmer, dem Kläger, eingetreten wäre. – Dass diese „zweite“ Entwendung „erfunden“ wurde, liegt allerdings offen zutage.
Unter einer Entwendung im Sinne von § 12 Abs. 1 Buchstabe b AKB ist eine objektiv unerlaubte, widerrechtliche Handlung zu verstehen, durch die das Fahrzeug dem Versicherungsnehmer gegen dessen Willen abhanden kommt. Jedoch besteht nicht für jede Art der Entwendung Versicherungsschutz, vielmehr wird unterschieden zwischen der Unterschlagung, für die der Versicherungsschutz mit § 12 Abs. 1 Buchstabe b Satz 2 AKB eingeschränkt wird, und sonstigen Formen der Entwendung wie etwa Diebstahl und Raub, für die ein uneingeschränkter Versicherungsschutz besteht. – Im Fall der Unterschlagung ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn das Fahrzeug dem Unterschlagenden etwa zum Gebrauch überlassen wurde.
Der Begriff der „Entwendung“ ist nicht gesetzlich definiert; die aufgeführten Unterfälle der Entwendung (Diebstahl, unbefugter Gebrauch, Raub und Unterschlagung) dagegen schon (vgl. §§ 242, 248 b, 249, 246 StGB), weshalb sie entsprechend, d. h. strafrechtlich zu verstehen sind.
Die Tat muss jedoch lediglich tatbestandsmäßig und rechtswidrig gewesen sein; ob der Täter zudem vorsätzlich und schuldhaft handelte und ob der Täter strafbar ist, ist gleichgültig. Der Oberbegriff der Entwendung ist nicht auf die genannten Straftaten beschränkt, Versicherungsschutz besteht auch hier unabhängig davon, ob die subjektiven Voraussetzungen einer mit Strafe bedrohten Handlung vorliegen.
Im hier zu beurteilenden Fall ist der Pkw Mercedes-Benz Vito zunächst durch den früheren freien Mitarbeiter des Klägers, …, unterschlagen worden. Herr … gab das Fahrzeug trotz mehrfacher Aufforderungen des Klägers nicht zurück und manifestierte damit objektiv seinen Zueignungswillen im Sinne von § 246 Abs. 1 StGB (zu den Voraussetzungen des § 246 StGB vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl. <2010>, § 246 Rdnr. 6 ff.; zum Fall der Nichtrückgabe siehe auch Stadler in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, AKB-Kommentar, 18. Aufl. <2010>, AKB A.2.2 Rdnr. 41). Er hatte zum Zeitpunkt der Tat alleinigen Gewahrsam an dem Fahrzeug, sodass ein Diebstahl durch ihn ausscheidet.
Der Kläger hatte Herrn … das Fahrzeug auch zum Gebrauch überlassen. Dies setzt voraus, dass das Fahrzeug dem Unterschlagenden zum Gebrauch in seinem eigenen Interesse überlassen wird, was sich in den AKB 2008 unmittelbar aus dem Wortlaut von A.2.2.2 Satz 2 ergibt, aber auch schon im Hinblick auf § 12 AKB anerkannt war (BGH, NJW-RR 1995 S. 347; Stadler in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, AKB-Kommentar, 18. Aufl. <2010>, AKB A.2.2 Rdnr. 44; Knappmann in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. <2010>, AKB 2008 A.2.2 Rdnr. 14; Knappmann in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl. <2004>, § 12 AKB Rdnr. 19).
Eine Überlassung zum Gebrauch im eignen Interesse (des Dritten) ist zu bejahen, wenn dem Unterschlagenden eine selbständige Verfügungsmöglichkeit über das Kfz eingeräumt wird, sodass er selbst entscheiden kann, ob, wann und wohin er mit dem Fahrzeug fährt (BGH, NJW-RR 1995 S. 347; Stadler, a. a. O., AKB A.2.2 Rdnr. 46). Dies ist der Fall, wenn der Unterschlagende das Fahrzeug zur freien Nutzung gemietet hat, sowie auch, wenn – wie vorliegend – einem Mitarbeiter die Nutzung des Fahrzeugs am Abend und am Wochenende freigestellt ist oder es sich gar um einen freien Mitarbeiter handelt (Knappmann, a. a. O., AKB 2008 A.2.2 Rdnr. 14; Stadler, a. a. O., AKB A.2.2 Rdnr. 48 f.).
Der Kläger legt nicht schlüssig dar, dass das Fahrzeug danach bei Herrn … von einem Unbekannten gestohlen wurde. Zwar genügt grundsätzlich die Darlegung des sogenannten äußeren Bildes einer bedingungsgemäßen Entwendung des Fahrzeugs, also lediglich eines Mindestmaßes an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Wegnahme gegen den Willen des – grundsätzlich als redlich unterstellten – Versicherungsnehmers zulassen (vgl. etwa BGH, MDR 1993 S. 1055 = NJW 1993 S. 2678; MDR 1995 S. 1120 = NJW 1995 S. 2169; siehe auch Römer, NJW 1996 S. 2329 m. w. N.; zu den vom BGH entwickelten „Beweiserleichterungsregeln“ s. a. Kollhosser, NJW 1997 S. 969 und in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl. <2004>, § 49 VVG Rdnr. 43 ff. m. w. N.). Im Allgemeinen reicht es hierfür aus, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat und es dort zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vorfindet. – Der Kläger trägt insoweit jedoch nur ungenau vor („Ende Juli 2008“, „Anfang Dezember“) bzw. verweist auf die Anzeige des … („in der Zeit vom 01.08.2008 bis 01.11.2008“).
Das allerdings kann ohnehin dahinstehen. Ein Diebstahl, der auf eine Unterschlagung folgt, ist nicht die für den bedingungsgemäßen Eintritt des Versicherungsfalls maßgebliche Entwendung. Der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag setzt voraus, dass das Fahrzeug – gerade – dem Versicherungsnehmer selbst abhanden kommt. Dies ist bei einer Sache, die bei jemandem abhanden kommt, der sie zuvor unterschlagen hat, nicht der Fall. Einer Person, die nicht der Berechtigte (vgl. § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB) und auch nicht dessen Besitzmittler (vgl. § 935 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist, kann eine Sache durch den Verlust des unmittelbaren Besitzes nicht abhanden kommen (Bassenge in: Palandt, Kommentar zum BGB, 70. Aufl. <2011>, § 935 BGB Rdnr. 3).
Herr … war zum Zeitpunkt der behaupteten Entwendung nicht (mehr) der Besitzmittler des Klägers. Er hat Besitz nicht mehr aufgrund des Rechtsverhältnisses mit dem Kläger ausüben wollen und seine Herausgabepflicht auch nicht mehr anerkannt. Der mittelbare Besitz gemäß § 868 BGB setzt aber neben einem Besitzmittlungsverhältnis den Fremdbesitzerwillen des Besitzmittlers voraus („Besitzmittlungswille“, vgl. Bassenge, a. a. O., § 868 Rdnr. 7). Macht der Besitzmittler nach außen hin deutlich, dass er nicht mehr für den mittelbaren Besitzer besitzen will, etwa indem er seine Herausgabepflicht nicht mehr anerkennt, erlischt der mittelbare Besitz (Bassenge, a. a. O., § 868 Rdnr. 17; BGH, NJW 2005 S. 359, 364).
Vorliegend geschah dies im Wege der Unterschlagung. Das Protokoll über die polizeiliche Vernehmung des Herrn … lässt insoweit auch an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Auf die Frage, warum er das Fahrzeug, das er in der Zwischenzeit auch hat verkaufen wollen, nicht einfach zurückgegeben habe, antwortete er: „Ich musste es ja noch benutzen, ich brauchte es ja“.
Im Übrigen hat der Kläger auch die Höhe des Wiederbeschaffungswerts nicht substantiiert dargelegt, sondern lediglich einen – nicht ansatzweise nachvollziehbaren – Betrag genannt.
Mangels einer Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Zahlung oder Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten oder auf Zahlung von Zinsen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt hinsichtlich ihres Kostenerstattungsanspruchs für die Beklagte aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.