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Unfallversicherung – sofortigen Anerkenntnis im Rechtsstreit um Invaliditätsrente

OLG Karlsruhe – Az.: 9 W 64/11 – Beschluss vom 16.01.2012

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 26.09.2011 – 2 O 161/11 – unter II. (Kostenentscheidung) wie folgt abgeändert:

Die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht einschließlich der Kosten des Vergleichs tragen die Klägerin zu 6/7 und die Beklagte zu 1/7.

2. Die weitergehende sofortige Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde tragen die Klägerin zu 6/7 und die Beklagte zu 1/7.

Gründe

I.

Die 1940 geborene Klägerin schloss im Jahr 1989 bei der Beklagten eine Unfallversicherung ab. Bestandteil des Versicherungsvertrages waren die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 1988 (im Folgenden: AUB 88).

Am 28.02.2010 erlitt die Klägerin bei einem häuslichen Sturz schwere Kopfverletzungen. Sie leidet seitdem an einem schweren organischen Psychosyndrom. Seit dem Unfall ist die Klägerin ein Pflegefall. Sie ist dauerhaft bettlägerig. Im Rechtstreit wird die Klägerin von ihrer Betreuerin vertreten.

Mit vorprozessualem Schreiben vom 23.03.2010 machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese Leistungen aus der Unfallversicherung geltend. Die Beklagte sei zur Zahlung einer Invaliditätsleistung in Form einer Rente verpflichtet. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin forderte die Beklagte auf, ihrer Einstandspflicht dem Grunde nach innerhalb einer Frist bis zum 09.04.2010 anzuerkennen.

Mit Schreiben vom 01.04.2010 (Anlage B 5) erwiderte die Beklagte, sie benötige verschiedene Unterlagen und Informationen zum Gesundheitszustand der Klägerin, um ihre Leistungspflicht prüfen zu können. Mit weiterem Schreiben vom 13.04.2010 (Anlage B 6) erklärte die Beklagte, sie habe einen Arztbericht für die Klägerin angefordert.

Es schloss sich weiterer Schriftverkehr zwischen den Parteien an. In einem Schreiben vom 17.02.2011 (Anlage K 4) erklärte die Beklagte:

„…inzwischen liegt uns die Mitteilung von der … Krankenversicherung und der ärztliche Bericht von Herrn Professor Dr. S. vor.

Danach anerkennen wir unsere Leistungspflicht.

…“

In einem weiteren Schreiben vom 09.03.2011 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, er mahne „sämtliche Leistungen aus dem Versicherungsvertrag unter Setzung einer abschließenden anwaltlichen Ausschlussfrist zum Freitag, den 25.03.2011“ an. Die Beklagte erbrachte vorprozessual lediglich eine Teilzahlung in Höhe von 2.500,00 € auf Tagegeld, welches die Klägerin verlangt hatte. Auf die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin geforderte Invaliditätsleistung erfolgte jedoch keine Zahlung.

Mit Schriftsatz vom 09.05.2011 hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Landgericht Offenburg erhoben. Sie hat zum einen eine jeweils im Voraus zu entrichtende Invaliditätsrente von 18.458,94 € für jeweils drei Monate, beginnend mit dem 01.03.2011, verlangt. Zum anderen hat die Klägerin Krankentagegeld unter Berücksichtigung der vorprozessual erbrachten Teilleistung verlangt.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.06.2011 erwidert, sie habe sich in einem außergerichtlichen Schreiben vom selben Tag zur Zahlung einer vierteljährlichen Rente in Höhe von 2.589,00 € verpflichtet. Soweit die Klägerin einen höheren Betrag verlange, sei die Klage nicht begründet, da ihrem Prozessbevollmächtigten ein Rechenfehler unterlaufen sei. Sie sei zur Leistung der angegebenen Invaliditätsrente bereit, obwohl der Anspruch der Klägerin noch nicht fällig sei. Denn die Beklagte habe erst im Mai 2011 die letzten für die Prüfung der Ansprüche erforderlichen Unterlagen erhalten. Ihre Prüfungsfrist hinsichtlich des Invaliditätsanspruchs sei noch nicht abgelaufen.

Die Parteien haben sodann einen gerichtlichen Vergleich dadurch geschlossen, dass sie dem Landgericht einen übereinstimmenden schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet haben. Mit Beschluss vom 26.09.2011 hat das Landgericht das Zustandekommen des Vergleichs festgestellt. In dem Vergleich hat sich die Beklagte zur Leistung eines bezifferten Krankentagegeldes verpflichtet. Außerdem hat sich die Beklagte zur Zahlung einer Rente in Höhe von 2.589,00 € vierteljährlich, beginnend mit dem 28.02.2011, verpflichtet. Die Kostenentscheidung haben die Parteien im Vergleich dem Gericht überlassen unter Anwendung von § 91 a ZPO.

Unter II. der Entscheidung vom 26.09.2011 hat das Landgericht über die Kosten des Rechtstreits und des Vergleichs entschieden und diese der Klägerin auferlegt. Maßgeblich sei zum einen, dass die Klägerin bei einer streitigen Entscheidung überwiegend unterlegen wäre, da die Klageforderung deutlich überhöht gewesen sei. Soweit die Rente der Klägerin der Höhe nach tatsächlich zustand, sei der Rechtsgedanke des § 93 ZPO (sofortiges Anerkenntnis) zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen.

Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin. Sie ist der Auffassung, die gesamten Kosten des Rechtstreits seien der Beklagten aufzuerlegen. Es bestehe keine Grundlage, im Rahmen einer Entscheidung gemäß § 91 a ZPO den Rechtsgedanken des § 93 ZPO anzuwenden. Die Beklagte sei vorprozessual mehrfach vergeblich zur Zahlung aufgefordert worden. Sie habe auch keine weiteren Unterlagen zur Prüfung der Invaliditätsansprüche benötigt, nachdem sie im Besitz des Gutachtens Dr. Z. vom 24.07.2010 (Anlage B 17) gewesen sei.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28.10.2011 der sofortigen Beschwerde der Klägerin nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe – Zivilsenate in Freiburg – zur Entscheidung vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses vom 28.10.2011 verwiesen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.

Die Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist teilweise begründet. Die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht sind mit einer Quote von 1/7 der Beklagten aufzuerlegen. Soweit die Klägerin – über diese Quote hinaus – eine vollständige Kostenpflicht der Beklagten erstrebt, ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Die Parteien haben in ihrem Vergleich keine Kostenregelung getroffen, sondern diese dem Gericht überlassen. Dabei haben sie gleichzeitig bestimmt, dass bei der Kostenentscheidung nicht die Regelung in § 98 ZPO Anwendung finden soll. Vielmehr soll die gerichtliche Kostenentscheidung die Grundsätze gemäß § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO berücksichtigen. Nach § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (Kosten bei Erledigung der Hauptsache) richtet sich die Kostenentscheidung „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen“ des Gerichts. Maßgeblich für die Ermessensausübung des Gerichts ist in der Regel die Frage, wie der Rechtstreit voraussichtlich ausgegangen wäre, wenn sich das Verfahren nicht erledigt hätte. Im vorliegenden Fall wäre die Beklagte bei einer streitigen Fortsetzung des Rechtstreits voraussichtlich teilweise unterlegen, so dass ihr eine entsprechende Kostenquote aufzuerlegen ist.

Der Klägerin stand aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrag eine Invaliditätsrente in Höhe von 2.589,00 € vierteljährlich zu. Dass in dieser Höhe die vertraglichen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten bestanden, ist zwischen den Parteien außer Streit. Die Klage war hingegen nicht begründet, soweit die Klägerin in der Klageschrift vom 09.05.2011 eine deutlich höhere Rente geltend gemacht hat. Hinsichtlich des überschießenden Betrages ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Rechenfehler unterlaufen, bzw. liegt ein Missverständnis hinsichtlich der vertraglichen Berechnungsregeln vor. Auch dies ist zwischen den Parteien außer Streit. In Relation zum Streitwert hätte die Klage daher mit einer Quote von (gerundet) 1/7 voraussichtlich Erfolg gehabt, während die Klägerin im Übrigen – also mit einer Quote von gerundet 6/7 – voraussichtlich unterlegen wäre. Daraus ergibt sich die entsprechende Kostenquote. Das von der Klägerin außerdem geltend gemachte Krankentagegeld findet keine Berücksichtigung, da das Krankentagegeld wertmäßig im Verhältnis zum Gesamtstreitwert nicht ins Gewicht fällt.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt eine Anwendung der Grundsätze gemäß § 93 ZPO zu Gunsten der Beklagten nicht in Betracht. Denn die Voraussetzungen für ein sofortiges Anerkenntnis liegen nicht vor. Zwar kann man den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 16.06.2011 dahingehend interpretieren, dass mit der Klageerwiderung ein Teil-Anerkenntnis angekündigt werden sollte, soweit es um eine vierteljährliche Rente in Höhe von 2.589,00 € ging. Die Voraussetzungen eines sofortigen Anerkenntnisses liegen jedoch nicht vor. Denn die Beklagte hat trotz Aufforderungen der Klägerin vorprozessual keine Zahlung geleistet. Auf die Frage, ob und inwieweit die Klägerin damit rechnen konnte, dass die Beklagte nach ihren schriftlichen Ankündigungen – irgendwann – eine Zahlung leisten würde, kommt es im Rahmen von § 93 ZPO nicht an. Denn: Wer unter dem Druck der (von der Klägerin angekündigten) Klageerhebung eine fällige Forderung nicht bezahlt, zeigt damit, dass die Klägerin zur Anrufung des Gerichts Anlass hatte (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 29. Auflage 2012, § 93 ZPO, Rdnr. 6 „Geldschulden“).

3. Die Rechtslage wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn die Invaliditätsleistungen, wie die Beklagte meint, vorprozessual noch nicht fällig geworden wären. Hiervon ist jedoch nicht auszugehen. Die Rentenleistungen der Beklagten sind spätestens 14 Tage nach dem Schreiben der Beklagten vom 17.02.2011 (Anlage B 13) fällig geworden, also lange vor der Klage vom 09.05.2011.

a) Die Fälligkeit ergibt sich aus § 11 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz AUB 88. Nach dieser Regelung wird die Versicherungsleistung innerhalb von zwei Wochen fällig, wenn der Versicherer den Anspruch anerkennt. Das Schreiben der Beklagten vom 17.02.2011 enthält ein Anerkenntnis im Sinne dieser Regelung („… anerkennen wir unsere Leistungspflicht“). Die Formulierung der Beklagten ist eindeutig und enthält keine Einschränkungen und Vorbehalte. Vielmehr hat die Beklagte das Anerkenntnis damit begründet, dass ihr nunmehr der ärztliche Bericht von Professor Dr. S. vorliege. Sie hat zudem – zutreffend – in dem Schreiben die Folge ihres Anerkenntnisses dahingehend beschrieben, dass am 28.02.2011 das erste Unfalljahr ablaufe und der Anspruch auf die bedingungsgemäß vereinbarte Zahlung der Invaliditätsleistung in Form einer vierteljährlichen Unfallrente beginne (vgl. zum Anerkenntnis des Versicherers Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, Nr. 9 AUB 2008, Rdnr. 5 sowie § 187 VVG, Rdnr. 6).

Der Umstand, dass die Beklagte im Schreiben vom 17.02.2011 gleichzeitig noch ein weiteres ärztliches Attest von der Klägerin verlangt hat, ändert an den Wirkungen der Anerkenntnis-Erklärung nichts. Denn in dem Schreiben der Beklagten findet sich keine Einschränkung und kein Vorbehalt hinsichtlich der Anerkenntnis-Erklärung. Die Beklagte hat zwar ein weiteres Attest verlangt, dabei jedoch nicht geltend gemacht, dass dieses Verlangen irgendwelche Auswirkungen auf das – vorher im selben Schreiben formulierte – Anerkenntnis haben sollte. Das Verlangen nach einem zusätzlichen Attest kann unter diesen Umständen einer Anwendung von § 11 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz AUB 88 nicht entgegenstehen.

b) Die Parteien haben auch keine abweichende Vereinbarung getroffen, durch welche die Fälligkeit der Invaliditätsrente zu Gunsten der Beklagten hinausgeschoben worden wäre. Im Schreiben vom 28.02.2011 (Anlage B 14) hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zwar den behandelnden Arzt Dr. B. für die Ausstellung eines weiteren Attestes gegenüber der Beklagten benannt. Zur Fälligkeit der Leistungen der Beklagten enthält dieses Schreiben jedoch keine Erklärung. Daher spielt das Schreiben des Klägervertreters vom 28.02.2011 für die Verpflichtung der Beklagten keine Rolle.

4. Da sich die vorprozessuale Fälligkeit der Invaliditätsleistung bereits aus dem Anerkenntnis der Beklagten vom 17.02.2011 ergibt, kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang die Beklagte zur Prüfung ihrer Leistungspflicht berechtigt war. Es kann insbesondere dahinstehen, ob und inwieweit das Gutachten Dr. Z. vom 24.07.2010 für die Beklagte im Hinblick auf die Umstände des vorstehenden Falles (schweres organisches Psychosyndrom und schwere Vigilanzminderung) bereits ausreichend war, um die Leistungspflicht feststellen zu können (vgl. zur Erforderlichkeit ärztlicher Feststellungen der Invalidität beispielsweise Knappmann a. a. O., Nr. 2 AUB 2008, Rdnr. 15).

5. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

 

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