➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: 25 U 3191/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Kalk statt Streusalz: OLG stärkt Haftung der Kfz-Haftpflichtversicherung
- ✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht München
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht München
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Das Urteil des Landgerichts München I wurde durch das OLG München abgeändert und die Klage wurde abgewiesen.
- Der Versicherungsnehmer befüllte versehentlich ein Streusalzsilo mit Weißfeinkalk, wodurch der Inhalt unbrauchbar wurde.
- Die Klägerin, als Kraftfahrthaftpflichtversicherer, forderte den Schadensersatzbetrag von der Beklagten, der Betriebshaftpflichtversicherer.
- Das Landgericht hatte zunächst der Klägerin Recht gegeben, doch das OLG München entschied anders.
- Zentraler Punkt: Der Schaden wurde als „durch den Gebrauch“ des Fahrzeugs verursacht eingestuft.
- Wichtig: Schäden durch den Gebrauch des Fahrzeugs sind von der Kraftfahrthaftpflichtversicherung abgedeckt, auch wenn das Fahrzeug als Arbeitsmaschine genutzt wird.
- Entscheidung: Das Entladen von Weißfeinkalk wurde als eine Nutzung des Fahrzeugs im Sinne der Versicherung gewertet.
- Folge: Die Kraftfahrthaftpflichtversicherung musste den Schaden übernehmen, nicht die Betriebshaftpflichtversicherung.
- Auswirkung: Versicherungsnehmer müssen bei Schadensfällen klar zwischen den Zuständigkeitsbereichen ihrer Versicherungen unterscheiden.
- Klarheit: Der Begriff „Gebrauch des Fahrzeugs“ umfasst auch die Nutzung von fahrzeugspezifischen Einrichtungen wie Pumpen beim Entladen.
Kalk statt Streusalz: OLG stärkt Haftung der Kfz-Haftpflichtversicherung
Wenn ein Kraftfahrzeug auf der Straße zur Verwendung gelangt, ist es leider nicht unüblich, dass es zu Beschädigungen und Schäden kommt. Die Verantwortlichkeit hierfür zu klären ist mitunter eine komplexe juristische Angelegenheit. In diesem Zusammenhang spielt die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung eine zentrale Rolle. Sie tritt in der Regel für Schäden ein, die der Fahrzeughalter oder Fahrer Dritten zufügt. Allerdings gibt es auch Konstellationen, in denen die Versicherung ihre Leistungspflicht verweigern kann. Um die rechtlichen Folgen solcher Situationen besser zu verstehen, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die einschlägigen Regelungen zu werfen. Im Folgenden soll daher ein aktuelles Gerichtsurteil erörtert werden, das wichtige Erkenntnisse in Bezug auf die Haftung der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung liefert.
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✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht München
Kalk im Streusalzsilo – Kraftfahrer verwechselt Anschrift
Der Fall ereignete sich am 10. November 2017. Ein Speditionsunternehmer war beauftragt, an diesem Tag mit einem Silofahrzeug eine Ladung Weißfeinkalk auszuliefern. Doch der Fahrer unterlief bei der Anfahrt ein folgenschwerer Fehler: Er fuhr die falsche Lieferanschrift an. In der Folge befüllte er versehentlich ein Streusalzsilo mit 27,14 Tonnen Weißfeinkalk. Dadurch wurden die darin befindlichen 78,21 Tonnen Streusalz unbrauchbar gemacht.
Der Geschädigte forderte daraufhin Schadensersatz. Die Kraftfahrthaftpflichtversicherung des Speditionsunternehmers verauslagte für ihren Versicherungsnehmer einen Betrag von 16.800 Euro. Diesen Betrag verlangte sie anschließend von der Betriebshaftpflichtversicherung des Speditionsunternehmers erstattet. Doch diese weigerte sich zu zahlen. Daraus entwickelte sich eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Versicherungen.
Landgericht verurteilt Betriebshaftpflichtversicherung zur Zahlung
In erster Instanz gab das Landgericht München I der Kraftfahrthaftpflichtversicherung Recht. Es verurteilte die Betriebshaftpflichtversicherung in einem Versäumnisurteil, die 16.800 Euro zu erstatten. Das Gericht sah die Betriebshaftpflichtversicherung in der Einstandspflicht, nicht die Kraftfahrthaftpflichtversicherung.
Als Begründung führte es an, dass der Unfall nicht „bei dem Betrieb“ des Kraftfahrzeugs entstanden sei. Denn er beruhe nicht auf einem Fehler bei der Bedienung des Fahrzeugs selbst, sondern auf der fehlerhaften Entscheidung des Fahrers, die falsche Adresse anzusteuern. Diese Fehlentscheidung habe mit einem Betriebsvorgang des Fahrzeugs nichts zu tun. Der eigentliche Entladevorgang sei lediglich die Folge dieser Fehleinschätzung gewesen.
Oberlandesgericht hebt Urteil auf – Kraftfahrthaftpflichtversicherung muss zahlen
Die in Anspruch genommene Betriebshaftpflichtversicherung legte gegen das Urteil Berufung ein. Das Oberlandesgericht München hob daraufhin in zweiter Instanz das Urteil auf und wies die Klage der Kraftfahrthaftpflichtversicherung ab. Nach Auffassung des OLG war diese selbst einstandspflichtig, nicht die Betriebshaftpflichtversicherung.
Das Oberlandesgericht betonte, dass es entscheidend darauf ankomme, ob der Schaden „durch den Gebrauch“ eines Kraftfahrzeugs im Sinne der Versicherungsbedingungen verursacht worden sei, nicht ob er „beim Betrieb“ entstanden sei. Der „Gebrauch“ schließe den „Betrieb“ zwar ein, gehe aber auch darüber hinaus. Ein Kraftfahrzeug werde auch dann „gebraucht“, wenn es nur als Arbeitsmaschine eingesetzt werde.
Der hier regressierte Schaden sei „durch den Gebrauch“ des Kraftfahrzeugs entstanden. Denn die schadensstiftende Verrichtung war letztlich das Entladen des Weißfeinkalks in das Streusalzsilo mittels der fahrzeugspezifischen Pumpe. Für dieses Entladen sei das Silofahrzeug mit seinen speziellen Vorrichtungen aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt gewesen. Dabei habe sich eine Gefahr verwirklicht, die vom Fahrzeug selbst ausging. Vor diesem Risiko habe der Versicherungsnehmer Schutz durch seine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung erwartet.
Urteil hat Signalwirkung für die Zuordnung von Schäden bei Entladevorgängen
Das Urteil des OLG München stellt klar, dass Schäden beim Entladen eines Fahrzeugs dem „Gebrauch“ des Fahrzeugs zuzurechnen sind, auch wenn sie nicht unmittelbar durch dessen „Betrieb“ im engeren Sinn verursacht wurden. Entscheidend ist, dass fahrzeugspezifische Vorrichtungen wie eine Pumpe beteiligt waren und dass sich eine fahrzeugtypische Gefahr realisiert hat.
Die Entscheidung hat Signalwirkung für die korrekte Zuordnung von Schäden speziell bei Entladevorgängen. Sie grenzt die Einstandspflicht der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung gegenüber der Betriebshaftpflichtversicherung ab. Versicherungsnehmer von Transportfahrzeugen können demnach darauf vertrauen, dass Schäden durch das Entladen ihres Fahrzeugs – etwa durch falsches Befüllen oder Vermischungen – unter den Versicherungsschutz ihrer Kfz-Haftpflichtversicherung fallen.
Zugleich mahnt das Urteil, den genauen Wortlaut der jeweiligen Versicherungsbedingungen zu beachten. Der weitere Begriff des „Gebrauchs“ des Fahrzeugs in den Bedingungen ist hier ausschlaggebend, nicht der engere Begriff des „Betriebs“ wie in der gesetzlichen Kfz-Haftpflicht nach dem Straßenverkehrsgesetz. Schon allein diese begriffliche Unterscheidung kann im Streitfall entscheidend sein für die Frage, welcher Versicherer letztlich zahlen muss.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Urteil stellt klar, dass Schäden beim Entladevorgang eines Fahrzeugs dem „Gebrauch“ des Fahrzeugs zuzurechnen sind und damit in den Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung fallen, auch wenn sie nicht unmittelbar durch den „Betrieb“ verursacht wurden. Entscheidend ist die Beteiligung fahrzeugspezifischer Vorrichtungen und die Realisierung einer fahrzeugtypischen Gefahr. Der weite Begriff des „Gebrauchs“ in den Versicherungsbedingungen ist ausschlaggebend für die Abgrenzung der Einstandspflicht von Kfz- und Betriebshaftpflichtversicherung.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Haftung der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
Was deckt die Kfz-Haftpflichtversicherung ab und was nicht?
Die Kfz-Haftpflichtversicherung ist eine Pflichtversicherung für alle Fahrzeughalter in Deutschland. Sie deckt Schäden ab, die der Versicherte mit seinem Fahrzeug Dritten zufügt. Dazu zählen insbesondere Personen-, Sach- und Vermögensschäden.
Personenschäden umfassen beispielsweise Behandlungskosten, Verdienstausfall, Schmerzensgeld oder Rentenzahlungen, wenn eine Person durch den Unfall verletzt oder getötet wird. Sachschäden sind Schäden an fremden Fahrzeugen, Gebäuden oder sonstigen Gegenständen. Als Beispiel für einen gedeckten Vermögensschaden dient der finanzielle Verlust eines Verletzten, der aufgrund des Unfalls seiner Arbeit nicht nachgehen kann.
Neben dem Versicherungsnehmer selbst sind auch weitere Personen über die Kfz-Haftpflicht mitversichert, wie zum Beispiel der Fahrzeughalter, -eigentümer und berechtigte Fahrer des Fahrzeugs.
Allerdings bestehen auch Ausschlüsse und Einschränkungen des Versicherungsschutzes. Nicht von der Kfz-Haftpflicht gedeckt sind insbesondere
- Schäden am eigenen Fahrzeug des Versicherungsnehmers. Hierfür ist eine Kaskoversicherung erforderlich.
- Schäden an mitgeführten Sachen wie Gepäck oder Ladung.
- Vorsätzlich verursachte Schäden.
- Schäden bei der Teilnahme an behördlich genehmigten Rennveranstaltungen.
- Schäden durch Kernenergie.
Auch bei grob fahrlässigem Verhalten wie Trunkenheitsfahrten kann sich der Versicherer unter Umständen an den Verursacher zurückwenden, um Teile der Schadenssumme zurückzufordern (Regress). Gegenüber dem geschädigten Dritten muss die Versicherung aber in jedem Fall leisten.
Generell besteht die Leistungspflicht der Kfz-Haftpflichtversicherung in unbegrenzter Höhe. Für Personenschäden gilt jedoch eine gesetzliche Mindestdeckung von 7,5 Millionen Euro, für Sachschäden von 1,22 Millionen Euro je Schadensereignis.
Welche Schäden sind dem „Gebrauch“ des Fahrzeugs zuzurechnen?
Der Begriff „Gebrauch“ eines Fahrzeugs im Sinne der Kfz-Haftpflichtversicherung umfasst nicht nur die eigentliche Fahrt, sondern auch alle Tätigkeiten, die mit dem bestimmungsgemäßen Einsatz des Fahrzeugs zusammenhängen. Entscheidend ist dabei der unmittelbare Zusammenhang mit der Benutzung des Fahrzeugs als Fortbewegungsmittel oder Arbeitsmaschine.
So zählen beispielsweise das Be- und Entladen von Gütern, das Ein- und Aussteigen von Personen sowie Reparatur- oder Wartungsarbeiten am Fahrzeug selbst zum versicherten Gebrauch. Auch Schäden, die beim Betanken oder beim Öffnen der Tür auf einem Parkplatz entstehen, sind in der Regel gedeckt.
Ein anschauliches Beispiel für den Gebrauch abseits des Straßenverkehrs ist der Einsatz eines Krans oder einer Arbeitsbühne an einem LKW. Wenn dabei Schäden an fremden Sachen entstehen, greift ebenfalls der Versicherungsschutz der Kfz-Haftpflicht.
Nicht mehr zum Gebrauch zählen hingegen reine Verladearbeiten neben dem Fahrzeug oder die Lagerung von Gegenständen auf oder in dem Fahrzeug über einen längeren Zeitraum. Hier besteht kein ausreichend enger Zusammenhang mit dem Einsatzzweck des Fahrzeugs mehr.
Für den Versicherungsschutz kommt es also nicht darauf an, ob sich das Fahrzeug im fließenden Verkehr befindet oder steht. Maßgeblich ist vielmehr, ob die jeweilige Tätigkeit noch dem Gebrauch des Fahrzeugs als solchem dient. Sobald dieser unmittelbare Zusammenhang nicht mehr besteht, endet auch die Deckung durch die Kfz-Haftpflichtversicherung.
Wann greift die Betriebshaftpflichtversicherung anstelle der Kfz-Haftpflicht?
Die Betriebshaftpflichtversicherung greift anstelle der Kfz-Haftpflicht ein, wenn sich nicht schwerpunktmäßig die Gefahr eines Kfz realisiert hat, sondern eine betriebliche Gefahr. Entscheidend für die Abgrenzung ist, ob der Schaden durch den Gebrauch eines Fahrzeugs oder durch die betriebliche Tätigkeit verursacht wurde.
Einige Beispiele verdeutlichen den Unterschied
Wird ein Kunde bei einer Probefahrt durch einen Unfall verletzt, ist die Kfz-Haftpflichtversicherung zuständig. Der Schaden entstand hier durch den Gebrauch des Fahrzeugs.
Stürzt dagegen ein Kunde in der Werkstatt über ein Kabel und verletzt sich, greift die Betriebshaftpflichtversicherung. Hier liegt die Schadensursache in der betrieblichen Sphäre und steht nicht im Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Kfz.
Auch wenn ein Mitarbeiter bei Reparaturarbeiten versehentlich Lack auf dem Fahrzeug eines Kunden verschüttet, ist die Betriebshaftpflichtversicherung eintrittspflichtig. Der Schaden ereignete sich zwar an einem Kfz, wurde aber nicht durch dessen Gebrauch verursacht.
Die Betriebshaftpflichtversicherung kommt somit immer dann zum Tragen, wenn Schäden aus dem eigentlichen Geschäftsbetrieb resultieren und keinen unmittelbaren Bezug zum Gebrauch eines Fahrzeugs aufweisen. Sie ergänzt damit den Versicherungsschutz der Kfz-Haftpflicht und schließt wichtige Deckungslücken für Kfz-Betriebe.
Wie wichtig ist der genaue Wortlaut der Versicherungsbedingungen?
Der genaue Wortlaut der Versicherungsbedingungen ist von entscheidender Bedeutung, da schon kleine Formulierungsunterschiede weitreichende Folgen für den Versicherungsschutz haben können. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das Begriffspaar „Gebrauch“ und „Betrieb“ im Zusammenhang mit der Kfz-Haftpflichtversicherung.
Die Kfz-Haftpflichtversicherung deckt Schäden ab, die anderen durch den Gebrauch des versicherten Fahrzeugs zugefügt werden. Gebrauch bedeutet dabei die bestimmungsgemäße Verwendung des Fahrzeugs als Fortbewegungsmittel im öffentlichen Straßenverkehr. Schäden, die sich aus dem bloßen Betrieb ergeben, wie ein Brand in der Garage durch einen technischen Defekt, sind hingegen in der Regel nicht versichert.
Verwendet der Versicherungsvertrag stattdessen den Begriff „Betrieb“, so erweitert sich der Versicherungsschutz erheblich. Betrieb umfasst nämlich über den Gebrauch hinaus auch das Vorhalten des Fahrzeugs sowie alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten wie Be- und Entladen, Reparatur oder Reinigung. Schäden aus dem Betrieb wären dann ebenfalls abgedeckt.
Für Versicherungsnehmer ist es daher ratsam, die konkreten Klauseln ihres Vertrages genau zu prüfen und im Zweifel rechtlichen Rat einzuholen. Nur so lässt sich Klarheit gewinnen, in welchen Fällen tatsächlich Versicherungsschutz besteht. Eine sorgfältige Analyse der Versicherungsbedingungen kann böse Überraschungen im Schadensfall vermeiden und die eigene Rechtsposition stärken.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 7 StVG (Straßenverkehrsgesetz): Regelt die Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs für Schäden, die „bei dem Betrieb“ des Fahrzeugs entstehen. Im vorliegenden Fall war umstritten, ob der Schaden „bei dem Betrieb“ des Fahrzeugs entstanden ist.
- § 86 VVG (Versicherungsvertragsgesetz): Überträgt den Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Schädiger auf den Versicherer, wenn der Versicherer den Schaden ersetzt hat. Dies war Grundlage für den Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte.
- A.1.1.1 AKB (Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung): Definiert den „Gebrauch des Fahrzeugs“ und dessen Haftpflichtgefahrenbereich. Das Gericht entschied, dass der Schaden „durch den Gebrauch“ des Fahrzeugs verursacht wurde, was hier entscheidend war.
- § 823 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Begründet die allgemeine Haftung für deliktische Handlungen. Im Zusammenhang mit der Haftung für den durch das Entladen verursachten Schaden relevant.
- § 91a ZPO (Zivilprozessordnung): Regelt die Kostenentscheidung bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen. Das Hanseatische Oberlandesgericht nutzte dies, um eine Entscheidung zugunsten des Kraftfahrthaftpflichtversicherers zu treffen.
- § 543 Abs. 2 ZPO: Bestimmt die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision. Im vorliegenden Fall wurde die Revision nicht zugelassen, da die rechtliche Beurteilung klar war.
- BGH-Urteil VI ZR 122/78: Präzedenzfall, in dem der Bundesgerichtshof entschied, dass Schäden durch die Betätigung der Beladungseinrichtung eines Fahrzeugs zum „Gebrauch des Fahrzeugs“ zählen. Diese Entscheidung war maßgeblich für die Beurteilung des vorliegenden Falles.
- OLG-Urteil 25 U 4874/14: Ein Fall, bei dem das Oberlandesgericht München entschied, dass der konkrete Schaden nicht dem Gebrauch des Tanklastzuges zuzurechnen sei. Dieses Urteil wurde im vorliegenden Fall diskutiert, aber letztlich nicht als entscheidend angesehen.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht München
OLG München – Az.: 25 U 3191/21 – Urteil vom 23.02.2023
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 27.04.2021, Az. 12 O 16385/20, abgeändert. Das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 01.02.2021 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten ihrer Säumnis im ersten Rechtszug. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 16.800,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin ist Kraftfahrthaftpflichtversicherer des Speditionsunternehmers M. L. (fortan: Versicherungsnehmer), die Beklagte dessen Betriebshaftpflichtversicherer. Der Versicherungsnehmer war beauftragt, am 10. November 2017 mit einem Silofahrzeug eine Ladung Weißfeinkalk auszuliefern. Aufgrund eines Fehlers des Fahrers, der die falsche Lieferanschrift anfuhr, befüllte dieser ein Streusalzsilo mit 27,14 t Weißfeinkalk, wodurch die darin befindlichen 78,21 t Streusalz unbrauchbar wurden. Auf die Schadensersatzforderung der Geschädigten verauslagte die Klägerin für den Versicherungsnehmer 16.800 €.
Die Klägerin hat von der Beklagten die Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage durch aufrechterhaltenes Versäumnisurteil stattgegeben. Mit der Berufung erstrebt die Beklagte die Aufhebung des Versäumnisurteils und die Abweisung der Klage. Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Dezember 2022 auf seine Rechtsauffassung hingewiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Abänderung des angefochtenen Endurteils und zur Abweisung der Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils (§ 343 Satz 2, § 538 Abs. 1 ZPO). Der Klägerin steht kein Ausgleichsanspruch zu, weil sie selbst einstandspflichtig ist.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Klägerin sei aktivlegitimiert. Der Erstattungsanspruch des gemeinsamen Versicherungsnehmers sei gemäß § 86 VVG auf sie übergegangen. §§ 77, 78 VVG seien nicht anwendbar, weil der Versicherungsnehmer nur gegen einen der Versicherer einen Anspruch habe.
Einstandspflichtig sei die Beklagte. Diese könne sich nicht auf A.1.1.1 Satz 2 AKB berufen. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung sei der Unfall nicht „bei dem Betrieb“ des Kraftfahrzeugs entstanden. Der Unfall beruhe nicht auf einem Fehler bei der Bedienung des Kfz, sondern auf der fehlerhaften Entscheidung des Fahrers, die falsche Adresse anzufahren, die mit einem Betriebsvorgang des Kfz nichts zu tun habe. Der eigentliche Entladevorgang sei lediglich die Folge dieser Fehleinschätzung gewesen.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung des Landgerichts stellt darauf ab, ob der Schaden „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeug im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG entstanden ist. Richtigerweise kommt es darauf an, ob der Schaden „durch den Gebrauch“ eines Kraftfahrzeugs im Sinne der jeweiligen Versicherungsbedingungen (vgl. Berufungsbegründung, S. 3) verursacht worden ist. Die Begriffe decken sich nicht vollständig. Der hier regressierte Schaden ist „durch den Gebrauch“ eines Kraftfahrzeugs entstanden.
a) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Schaden, der durch die Betätigung der Beladungseinrichtung und Entladungseinrichtung eines Sonderfahrzeuges verursacht worden ist, dem „Gebrauch des Fahrzeuges“ im Sinne von § 10 AKB aF zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 1979 – VI ZR 122/78, BGHZ 75, 45, juris Rn. 32 f). Dem steht nicht entgegen, dass eine Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG entfällt, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird, oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2021 – VI ZR 726/20, NJW 2022, 624 Rn. 6 f mwN).
Denn der Begriff des Gebrauches schließt den Betrieb des Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 StVG ein, geht aber auch darüber hinaus. Bei der Frage, ob der Entladevorgang noch dem Betrieb des Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 StVG zuzurechnen ist, geht es darum, ob nach dem von dieser Norm umfassten Schutzbereich, der wesentlich auf die Gefahren des Kraftfahrzeuges beim Verkehr abstellt, noch ein rechtlich relevanter Zusammenhang mit der Funktion des Kraftfahrzeuges als Beförderungsmittel besteht. Demgegenüber muss sich die Abgrenzung des versicherungsmäßig abgedeckten Wagnisses in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nach anderen Gesichtspunkten orientieren. Bei ihr ist das Interesse versichert, das der Versicherte daran hat, durch den Gebrauch des Fahrzeuges nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden gleich, ob diese auf den §§ 7 ff StVG, den §§ 823 ff BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen. Es kommt mithin darauf an, ob der Schadensfall zu dem Haftpflichtgefahrenbereich gehört, für den die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung deckungspflichtig ist. „Gebraucht“ wird ein Kraftfahrzeug auch dann, wenn es nur als Arbeitsmaschine eingesetzt wird. Auch der Entladevorgang, soweit er nicht mehr dem „Betrieb“ des Kraftfahrzeugs zuzurechnen ist, gehört danach zu seinem Gebrauch (vgl. jetzt auch A.1.1.1 Satz 2 AKB), solange das Kraftfahrzeug oder seine an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen dabei beteiligt sind. Der Schaden, der beim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann „durch den Gebrauch“ des Kraftfahrzeugs entstanden, das heißt diesem Gebrauch noch zuzurechnen, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt gewesen ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 1979, aaO Rn. 34 mwN).
Nach diesen Grundsätzen ist das Entladen eines Tanklastzuges mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe, gleich ob sie von dem Motor des Kraftfahrzeugs angetrieben wird, dem Gebrauch des Fahrzeuges zuzurechnen, solange der Druck der Pumpe noch auf das abzufüllende Öl einwirkt und die Flüssigkeit durch den Schlauch heraustreibt. Dabei wird der Tanklastzug mit seinen speziellen Vorrichtungen unmittelbar eingesetzt und es verwirklicht sich eine Gefahr, die von dem Fahrzeug selbst ausgeht. Das aber ist ein Risiko, vor dem der Versicherte Schutz durch die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung erwartet und das diese, nicht etwa die Betriebshaftpflichtversicherung abzudecken hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 1979, aaO Rn. 35 mwN).
b) Diese Erwägungen lassen sich auf den Streitfall übertragen.
Schadensstiftende Verrichtung war letztlich (erst) das Entladen des Weißfeinkalks in das Streusalzsilo, wodurch es zu der schadensbegründenden Vermischung kam. Das Entladen von Öl aus einem Tanklastwagen mittels einer auf ihm befindlichen Entladevorrichtung gehört zum „Gebrauch“ des Kraftfahrzeuges (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 208, 140); gleiches muss für das Entladen von Weißfeinkalk aus einem Silofahrzeug gelten. Durch den Gebrauch verursacht werden auch sogenannte Vermischungsschäden durch falsches Be- oder Entladen. Darum geht es beim Einfüllen des Transportguts in einen „falschen“ Behälter oder bei Vermischung von Transportstoffen als Folge einer ungenügender Reinigung oder Leerung des Transportbehältnisses (Prölss/Martin/Klimke, VVG, 31. Aufl., A.1.1 AKB 2015 Rn. 21; vgl. OLG Nürnberg, VersR 1982, 1092; LG Stuttgart, r+s 2015, 382).
Für die schadensstiftende Verrichtung ist das Silofahrzeug aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt gewesen. Das Entladen des Silofahrzeugs mittels fahrzeugspezifischer Einrichtungen, namentlich einer Pumpe (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 31. März 2021, Bl. 27/29 d. A., S. 2; Berufungsbegründung, S. 5; vgl. auch Wikipedia zu „Silofahrzeug“: „Entleerung durch Auslauftrichter zumeist mit Unterstützung durch Druckluft“), ist dem Gebrauch des Fahrzeuges zuzurechnen, solange die fahrzeugspezifischen Einrichtungen noch auf das abzuladende Gut einwirken und dieses durch den Auslauftrichter heraustreiben. Dabei wird das Silofahrzeug mit seinen speziellen Vorrichtungen unmittelbar eingesetzt und es verwirklicht sich (entgegen LG Koblenz, DAR 2009, 468) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Gefahr, die von dem Fahrzeug selbst ausgeht.
c) Der Annahme einer Einstandspflicht der Klägerin stehen die von ihr angeführten obergerichtlichen Entscheidungen nicht entgegen.
Zwar hat das Hanseatische Oberlandesgericht in einer Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO, die eine Verwechslung von Kraftstofftanks durch einen Tanklastzug-Fahrer betraf, zugunsten des Kraftfahrhaftpflichtversicherers entschieden. Der Schaden (der Tankstellenkunden) sei nicht „durch den Gebrauch“ des versicherten Kraftfahrzeugs „verursacht“ worden. Beruhe nämlich der Schaden allein oder überwiegend auf einer unabhängig von der Funktionsfähigkeit oder Bedienung des Fahrzeugs liegenden Ursache, verwirkliche sich keine fahrzeugtypische Gefahr (vgl. OLG Hamburg, OLGR 2008, 895). Doch kam es auf diese Frage nicht entscheidungserheblich an, wie der Bundesgerichtshof im Rechtsbeschwerdeverfahren klargestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 – VI ZB 49/08, VersR 2010, 1360 Rn. 7).
Der erkennende Senat des Oberlandesgerichts München hat in einem vergleichbaren Fall eine Eintrittsverpflichtung des Kraftfahrthaftpflichtversicherers abgelehnt, weil der verursachte Schaden nicht dem Gebrauch des Tanklastzuges zuzurechnen sei. Dabei hat er aber dahinstehen lassen, ob der Entladevorgang als solcher dem Gebrauch des Kraftfahrzeuges zuzurechnen sei. Maßgebend sei, dass die jeweiligen konkreten Schäden den Tankstellenkunden erst dadurch entstanden seien, dass der vermischte Kraftstoff vom Tankstellenpächter für die Tankstellenverpächterin an die Kunden verkauft und in die Tanks der Fahrzeuge der Kunden gefüllt wurde. Dieser Befüllungsvorgang der Kundenfahrzeuge sei dem Gebrauch des Tanklastzuges jedenfalls nicht mehr zuzurechnen (OLG München, Urteil vom 24. April 2015 – 25 U 4874/14, r+s 2016, 298 Rn. 25 f mit Anm. Schimikowski; NZB zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – IV ZR 564/15, nv).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 344 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1, § 713 in Verbindung mit § 544 Abs. 2 ZPO. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen.
Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.