AG Traunstein – Az.: 311 C 1104/13 – Urteil vom 27.11.2013
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,00 € Selbstbeteiligung sowie 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 30.11.2012 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den Versicherungsbeitrag aus dem zwischen den Parteien bestehenden Kaskovertrag für Pkw mit amtl. Kennz. … ab Unfalltag 30.08.2012 neu zu berechnen, mit der Maßgabe, dass es sich bei dem genannten Schadensereignis vom 30.08.2012 lediglich um einen Verkehrsunfall handelt.
III. Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, an die Klägerin 229,55 € vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr sowie 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz ab 20.09.2013 zu bezahlen.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss: Der Streitwert wird auf 1.800,– € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Versicherungsleistungen nach einem Kaskoschaden an ihrem Pkw in Anspruch.
Am 30.08.2013 versuchte die Klägerin, mit ihrem bei der Beklagten kaskoversicherten Pkw BMW aus einem Carport vor dem Ärztehaus I. in der Wasserburger Straße in Traunstein auszuparken.
Dabei geriet sie beim Rückwärtsfahren mit dem Stoßfänger hinten links an eine Stahlsäule, fuhr danach nach vorne, um besser aus dem Carport herauszukommen; als sie dann, ein weiteres Mal zurücksetzte, schlug sie die Lenkung zu früh ein und blieb diesmal mit dem vorderen linken Kotflügel an der Stahlsäule hängen.
Am Fahrzeug entstand ein Kaskoschaden in Höhe von 3.326,72 €.
Dieser wurde von der Beklagten auch reguliert, allerdings zog die Beklagte die vertragsgemäß vereinbarte Selbstbeteiligung in Höhe von 300,– € zweimal ab.
Auch erfolgte eine zweifache Rückstufung des Vertrages in der Schadensfreiheitsklasse.
Die Klägerin ist der Auffassung, es handle sich vorliegend nicht um zwei getrennte Unfälle, sondern um einen einheitlichen Ausparkvorgang, der nicht willkürlich aufgeteilt werden könne. Bei dem vorhandenen absolut engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang sei es unsachgemäß, dies in zwei Unfälle aufzuteilen. Die Klägerin habe während des Ausparkvorganges ihr Fahrzeug auch nicht verlassen. Auch der von der Beklagtenpartei beauftragte Sachverständige J. habe die Ansicht vertreten, dass beide Beschädigungen auf ein und demselben Ausparkvorgang zurückzuführen seien.
Die Klägerin stellt den Antrag, – nach dem erkannt wurde. –
Die Beklagte beantragt -Klagabweisung-
Sie ist der Auffassung, sie habe korrekt abgerechnet und die Rückstufung vertragsgemäß vorgenommen. Es handle sich um zwei Schadensereignisse. Zum zweiten Schadensereignis sei es nur deshalb gekommen, weil die Klägerin nach ihrem Rückwärtsfahrtunfall noch einmal einen Willensentschluss gefasst habe, nämlich die Fahrtrichtung zu wechseln und ihr Fahrzeug nun nach vorne zu fahren. Bei dem sodann anschließenden, erneut vom gesonderten Willen getragenen Fahrtrichtungswechsel sei bei der zweiten Rückwärtsfahrt das zweite Schadensereignis geschehen.
Die Beklagte verweist auf ein Urteil des Amtsgerichts Berlin Mitte (Anlage zur Klageerwiderung).
Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Mit Zustimmung beider Parteien wurde nach § 128 Abs. 2 ZPO das schriftliche Verfahren angeordnet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage erweist sich als voll umfänglich begründet.
Das Gericht teilt die Auffassung der Klägerin, wonach ein einheitlicher Ausparkvorgang vorliegt, der nicht willkürlich in zwei getrennte Fahrbewegungen zerlegt und daher im Ergebnis als zwei Schadensereignisse gewertet werden kann.
Die Auffassung des Amtsgerichts Berlin Mitte vermag das Gericht hingegen nicht zu teilen. Es ist natürlich richtig, dass nach einem Rückwärtsfahrvorgang, der zu einem Schaden führt, der Fahrzeuglenker einen erneuten Willensentschluss tätigt, wenn er sich nunmehr anschickt, das Fahrzeug nach vorne zu fahren und dann nach einem weiteren Willensentschluss versucht, aus der Parkbox ein zweites Mal rückwärts herauszufahren.
Da die Parkbox aber noch überhaupt nicht verlassen worden ist, handelt es sich um einen einheitlichen Vorgang, nämlich ein Ausparken.
Zutreffend wäre die Auffassung der Beklagten dann, wenn die Klägerin etwa die Parkbox ganz verlassen hätte, dann sich entfernt hätte und ein weiteres Mal in die Parkbox eingefahren wäre und dabei ihr Fahrzeug beschädigt hätte. Denn dann läge eine Zäsur vor, die es rechtfertigen würde, von zwei getrennten Parkvorgängen auszugehen.
Nicht richtig sein kann es aber, einen Vorgang, der letztlich noch nicht abgeschlossen ist, nämlich das Ausparken aus einem Carport, nur deshalb in zwei verschiedene Geschehnisse zu zerlegen, weil zwei natürliche Willensentschlüsse (Betätigen des Schaltgetriebes, der Kupplung, des Gas- und Bremspedales) zu zwei Anstößen geführt haben. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die es rechtfertigen würden, hiervon zwei getrennten Versicherungsfällen auszugehen: Die Klägerin hat nicht einmal ihr Fahrzeug verlassen, sondern hat, offensichtlich durch den ersten Anstoß in Panik versetzt, infolge Ungeschicklichkeit bei dem zweiten unmittelbar anschließenden zweiten Rückwärtsfahrmanöver wiederum „eingefädelt“.
Bei einem derartig engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang innerhalb ein und desselben Ausparkvorganges wäre es vollkommen lebensfremd, zwei getrennte versicherungsrechtliche Tatbestände anzunehmen.
Es handelt sich demnach um einen einheitlichen Vorgang, der auch nur einheitlich abrechenbar ist.
Deshalb hat die Beklagte zu Unrecht die Selbstbeteiligung ein zweites Mal abgezogen und auch eine zweite Rückstufung vorgenommen.
Kosten: § 91 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708, 711 ZPO.