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Gefahrerhebliche Umstände im Versicherungsrecht

Krankheiten verschweigen, um beim Versicherungsbeitrag zu sparen? Das kann teuer werden. Wer seine Vorerkrankungen nicht angibt, riskiert im schlimmsten Fall den Verlust des Versicherungsschutzes. Was Versicherungsnehmer unbedingt wissen müssen.

Übersicht

Gefahrerhebliche Umstände und vorvertragliche Anzeigepflicht im Versicherungsrecht
Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Vorvertragliche Anzeigepflicht (§ 19 VVG): Versicherungsnehmer müssen alle vom Versicherer abgefragten gefahrerheblichen Umstände wahrheitsgemäß angeben.
  • Gefahrerhebliche Umstände: Dazu zählen unter anderem Vorerkrankungen, besondere Hobbys oder Änderungen in beruflichen oder baulichen Verhältnissen, die das Risiko erhöhen.
  • Form der Angaben: Der Versicherer stellt Fragen in Textform; Antworten müssen schriftlich dokumentiert werden, damit sie nachweisbar sind.
  • Konsequenzen bei Verstößen: Je nach Verschuldensgrad (von fahrlässig bis vorsätzlich) können Vertragsanpassung, Kündigung, Rücktritt oder Anfechtung drohen. Leistungsfreiheit besteht, wenn der Versicherer im Schadensfall aufgrund falscher Angaben nicht zahlen muss.
  • Rücktritts- und Kündigungsrechte: Der Versicherer kann innerhalb eines Monats nach Kenntnis der Pflichtverletzung reagieren. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit sind weitreichendere Sanktionen (etwa Rücktritt) möglich.
  • Nachträgliche Änderungen: Steigt das Risiko nach Vertragsabschluss erheblich (z. B. Aufnahme gefährlicher Hobbys, bauliche Veränderungen), muss dies dem Versicherer umgehend mitgeteilt werden.
  • Belehrung durch den Versicherer: Eine schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen falscher Angaben ist verpflichtend. Ohne korrekte Belehrung sind manche Sanktionen (z. B. Rücktritt) ausgeschlossen.
  • Kausalitätsgegenbeweis: Versicherungsnehmer können sich entlasten, indem sie nachweisen, dass der verschwiegenen Umstand den Schaden weder verursacht noch beeinflusst hat.
  • Besonderheiten in der Krankenversicherung: Kontrahierungszwang bei Basistarifen schränkt die Sanktionsmöglichkeiten ein; bei arglistiger Täuschung sind jedoch Rücktritt oder Anfechtung möglich.
  • Wichtige Praxis-Tipps:
    • Alle Gesundheits- und Risikofragen vollständig beantworten (ggf. ärztliche Unterlagen einholen).
    • Bei Unklarheiten lieber zu viele Angaben machen oder Rücksprache mit dem Versicherer halten.
    • Änderungen im Risikobereich umgehend melden und dokumentieren.

Einführung in gefahrerhebliche Umstände und die vorvertragliche Anzeigepflicht

Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) stellt mit der vorvertraglichen Anzeigepflicht einen zentralen Baustein im Vertrauensverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer bereit. Wer einen Versicherungsvertrag abschließt, muss wissen, welche Informationen entscheidend sind, damit das Risiko korrekt eingeschätzt und eine faire Prämie kalkuliert werden kann. Die Pflicht zur Angabe gefahrerheblicher Umstände betrifft alle Umstände, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat und die seine Entscheidung maßgeblich beeinflussen können – von Gesundheitsfragen bis zu anderen risikorelevanten Faktoren, die im Versicherungsantrag abgefragt werden.

Was sind gefahrerhebliche Umstände? Bedeutung und Rechtsfolgen

Gefahrerhebliche Umstände umfassen alle Tatsachen, die den Versicherer bei der Risikoprüfung veranlassen, den Vertrag zu besonderen Bedingungen abzuschließen oder abzulehnen. Entscheidend ist dabei nicht nur die objektive Gefahr, sondern auch die subjektive Risikoeinschätzung des Versicherers.

Dabei wird zwischen offenkundigen und nicht offenkundigen Umständen unterschieden. Offenkundige Tatsachen, wie zum Beispiel ein deutlich erkennbares Rückenleiden, fallen dem Versicherer in den meisten Fällen ohne spezielle Nachfrage auf. Hingegen bedürfen weniger offensichtliche Gesundheits- oder Risikofaktoren einer gezielten Abfrage im Antrag.

Verstöße gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht ziehen gestaffelte Rechtsfolgen nach sich, die sich am Verschuldensgrad orientieren:

  • Bei vorsätzlicher Verletzung kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten und bleibt leistungsfrei – selbst wenn der verschwiegen Umstand nicht ursächlich für den Versicherungsfall war.
  • Eine grob fahrlässige Verletzung berechtigt den Versicherer in der Regel zur Kündigung des Vertrages.
  • Bei leichter Fahrlässigkeit wird häufig eine nachträgliche Anpassung des Vertrages vorgenommen, indem ein Risikozuschlag erhoben oder bestimmte Leistungen ausgeschlossen werden.

So kann beispielsweise das Verschweigen eines bekannten Bluthochdrucks in der Krankenversicherung zu einer Prämienanpassung führen, während das Zurückhalten von Informationen über psychiatrische Vorbehandlungen unter Umständen den Versicherungsvertrag gefährden kann.

Überblick über die vorvertragliche Anzeigepflicht nach dem VVG

Die gesetzliche Grundlage der vorvertraglichen Anzeigepflicht findet sich in § 19 VVG. Hierbei ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alle Fragen des Versicherers zu gefahrerheblichen Umständen in Textform wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Die Textform dient dabei insbesondere der Nachweisbarkeit und Rechtssicherheit.

Es ist wichtig zu wissen, dass sich die Anzeigepflicht ausschließlich auf die konkret gestellten Fragen bezieht. Eine Offenbarung von Informationen, die nicht explizit erfragt wurden, ist grundsätzlich nicht erforderlich. Dies dient dem Schutz des Versicherungsnehmers und verhindert, dass er sich über den angefragten Umfang hinaus verpflichten muss.

  • Fragen aufmerksam lesen und bei Unklarheiten Rückfragen stellen.
  • Sorgfältig und wahrheitsgemäß antworten, da auch das versehentliche Verschweigen relevanter Informationen Konsequenzen nach sich ziehen kann.
  • Eine Kopie des ausgefüllten Antrags für die eigenen Unterlagen anfertigen.

Diese Regelung ermöglicht es dem Versicherer, das Risiko korrekt einzuschätzen und die Versicherungsprämie den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen.

Wichtige Rechtsbegriffe verständlich erklärt: Risiko, Risikozuschlag, Leistungsausschluss

Der Begriff Risiko beschreibt im Versicherungswesen die Wahrscheinlichkeit, dass ein versicherter Schadensfall eintritt, sowie die potenziellen finanziellen Folgen dieses Ereignisses. In der Kfz-Versicherung etwa steht das Risiko eines Unfalls im Mittelpunkt, während in der Krankenversicherung Gesundheitsrisiken bewertet werden.

Ein Risikozuschlag wird erhoben, wenn ein erhöhtes Gefahrenpotenzial besteht. Dieser Zuschlag spiegelt sich in einer höheren Prämie wider und kompensiert das zusätzliche Risiko, das der Versicherer bei bekannten Vorerkrankungen oder anderen Risikofaktoren einrechnet.

Der Leistungsausschluss bedeutet, dass bestimmte Risiken oder Ereignisse vom Versicherungsschutz ausgenommen werden. Dies wird insbesondere dann angewandt, wenn das Risiko so erheblich oder schwer kalkulierbar ist, dass eine adäquate Absicherung nicht gewährleistet werden kann.

Die korrekte Angabe gefahrerheblicher Umstände ermöglicht es, das jeweilige Risiko präzise zu bewerten. Auf dieser Basis entscheidet der Versicherer, ob ein Vertrag zu Standardbedingungen abgeschlossen werden kann oder ob Maßnahmen wie ein Risikozuschlag beziehungsweise ein Leistungsausschluss notwendig sind.

Gesetzliche Pflichten des Versicherungsnehmers

Ein funktionierendes Versicherungsverhältnis basiert auf dem ausgewogenen Zusammenspiel von Rechten und Pflichten beider Vertragsparteien. Versicherungsnehmer müssen insbesondere darauf achten, alle gefahrerheblichen Umstände – wie in Kapitel 1 erläutert – wahrheitsgemäß und vollständig anzugeben. Diese Pflicht ist wesentlich, um eine faire Risikoeinschätzung und damit eine korrekte Prämienkalkulation zu ermöglichen.

Pflicht zur wahrheitsgemäßen Angabe gefahrerheblicher Umstände (§ 19 Abs. 1 VVG)

Die vorvertragliche Anzeigepflicht beruht auf § 19 Abs. 1 VVG. Sie verpflichtet den Versicherungsnehmer dazu, alle ihm bekannten gefahrerheblichen Umstände anzugeben, sofern der Versicherer diese in Textform erfragt hat. Dabei gilt:

  • Vorvertragliche Pflicht: Die Angaben müssen bereits vor dem Vertragsabschluss erfolgen.
  • Wahrheitsgemäß und vollständig: Nur das, was dem Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt der Antragstellung bekannt ist, muss offengelegt werden. Es reicht nicht, ungefragt alle Informationen preiszugeben.
  • Textform: Die Fragestellungen des Versicherers erfolgen in schriftlicher Form, etwa per E-Mail oder auf Papier. Mündliche Fragen begründen nicht die Anzeigepflicht.

Diese Regelung basiert auf dem Prinzip von Treu und Glauben. Sie soll dem Versicherer ermöglichen, das Risiko korrekt einzuschätzen und dadurch faire Vertragsbedingungen anzubieten.

Was umfasst die Anzeigepflicht konkret? Beispiele aus der Praxis

Die Anzeigepflicht bezieht sich ausschließlich auf die vom Versicherer gestellten Fragen zu gefahrerheblichen Umständen. Das bedeutet, es besteht keine Verpflichtung, ungefragt sämtliche Informationen offenzulegen. Beispiele aus verschiedenen Versicherungssparten verdeutlichen den Umfang:

  • Gesundheitsversicherung:
    • Vorerkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Störungen
    • Aktuelle Beschwerden, geplante Behandlungen, frühere Krankenhausaufenthalte und Operationen
    • Regelmäßige Medikamenteneinnahme oder bekannte Suchterkrankungen
  • Lebensversicherung:
    • Vorerkrankungen, etwa Herzinfarkt oder chronische Erkrankungen
    • Gefährliche Hobbys, wie Extremsportarten
    • Berufsbedingte Risiken oder familiäre Vorbelastungen
    • Raucherstatus
  • Berufsunfähigkeitsversicherung:
    • Vorliegende psychische oder orthopädische Erkrankungen
    • Chronische Schmerzen oder körperliche Einschränkungen
    • Frühere Berufsunfähigkeit oder entsprechende Anträge
  • Hausrat-/Wohngebäudeversicherung:
    • Frühere Wasserschäden oder Brandschäden
    • Einbruchrisiken aufgrund der Lage des Hauses
    • Besondere Gefahrenquellen wie Öltanks oder Kaminöfen
  • Kfz-Versicherung:
    • Vorherige Unfälle, insbesondere bei Personenschäden
    • Punkte in Flensburg oder frühere Führerscheinentzüge
    • Unterschiede in der Nutzung, z. B. gewerbliche Nutzung versus private Nutzung
  • Haftpflichtversicherung:
    • Vorschäden aus früheren Haftpflichtfällen
    • Besondere Risiken, wie der Besitz bestimmter Hunderassen

Durch das Beantworten der gestellten Fragen in Textform ermöglicht der Versicherer eine präzise Risikobewertung und vermeidet unangemessene Annahmen. Versicherungsnehmer profitieren davon, wenn sie sich auf die konkret erfragten Punkte konzentrieren.

Folgen einer unvollständigen oder falschen Angabe: Anpassung, Rücktritt, Anfechtung

Verletzt ein Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht, können unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten – stets abhängig vom Verschuldensgrad:

  • Vertragsanpassung:
    Bei fahrlässiger oder unverschuldeter Unterlassung kann der Versicherer den Vertrag anpassen. Dies äußert sich häufig in der Erhebung eines Risikozuschlags oder dem Ausschluss bestimmter Leistungen.
    Beispiel: Wird das Rauchen nicht angegeben, kann dies zu einer nachträglichen Prämienerhöhung führen.
  • Rücktritt:
    Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht hat der Versicherer das Recht, vom Vertrag zurückzutreten. Dies führt dazu, dass der Versicherungsschutz rückwirkend entfällt.
    Beispiel: Das arglistige Verschweigen einer schweren Vorerkrankung kann zum vollständigen Verlust des Versicherungsschutzes führen.
  • Anfechtung:
    Unter bestimmten Umständen kann der Vertrag auch angefochten werden, wenn sich herausstellt, dass wesentliche Angaben falsch waren. Dies kann ebenfalls den Verlust von Leistungsansprüchen zur Folge haben.

Versicherungsnehmer haben das Recht, zu belegen, dass keine Pflichtverletzung vorliegt. Zudem ist es ratsam, alle Angaben sorgfältig zu dokumentieren und bei Unklarheiten direkt Rücksprache mit dem Versicherer zu halten. Eine gewissenhafte Beantwortung der erfragten Punkte minimiert das Risiko schwerwiegender Konsequenzen und sichert einen umfassenden Versicherungsschutz.

Rechte und Handlungsmöglichkeiten des Versicherers

Die Rechte des Versicherers kommen zum Tragen, wenn gefahrerhebliche Umstände entweder nicht oder falsch angegeben wurden oder sich nachträglich ändern. Diese Rechte dienen dem Schutz vor unkalkulierbaren Risiken und sichern das Kollektiv der Versicherten. Gleichzeitig sorgt das Gesetz für einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den Interessen von Versicherer und Versicherungsnehmer.

Wann und wie können Versicherer ihre Rechte geltend machen?

Versicherer können ihre Rechte geltend machen, wenn entweder eine Gefahrerhöhung gemäß §§ 23–27 VVG vorliegt oder eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung nach § 19 VVG erfolgt ist.

Auslöser und Fristen

  • Gefahrerhöhung: Eine Änderung, wie etwa die Aufnahme einer risikoreicheren Tätigkeit oder eine veränderte Nutzung des versicherten Objekts, kann zu einer erhöhten Gefahr führen.
  • Anzeigepflichtverletzung: Werden relevante, im Antrag gestellte Informationen falsch oder unvollständig übermittelt, entsteht ebenfalls ein Rechtsgrund.

Nach Kenntniserlangung muss der Versicherer seine Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Wird diese Frist versäumt, gehen die Rechte verloren. Bei vorsätzlicher oder arglistiger Täuschung verlängert sich die Frist auf bis zu zehn Jahre, während sie in anderen Fällen in der Regel auf drei bis fünf Jahre beschränkt ist.

Formelle Anforderungen

Die Geltendmachung muss schriftlich erfolgen und die konkreten Umstände detailliert benennen. Ein pauschaler Hinweis wie „Anzeigepflichtverletzung“ genügt nicht. So muss beispielsweise konkret ausgeführt werden:
„Bei der Beantragung Ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung haben Sie die Vorerkrankung XY nicht angegeben.“

Wahlrechte des Versicherers

Je nach Situation kann der Versicherer zwischen verschiedenen Maßnahmen wählen:

  • Kündigung:
    • Fristlos bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
    • Mit einmonatiger Frist bei einfacher Fahrlässigkeit.
  • Prämienanpassung/Risikoausschluss:
    • Erhöhung der Prämie oder expliziter Ausschluss des erhöhten Risikos.
  • Leistungsfreiheit:
    • Vollständige Leistungsausfall bei Vorsatz.
    • Proportionale Kürzung der Leistungen bei grober Fahrlässigkeit.

In der privaten Krankenversicherung gilt, dass ein Rücktritt nur zulässig ist, wenn der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über die Anzeigepflicht belehrt wurde – ausgenommen bei arglistigem Verhalten.

Rechtliche Voraussetzungen für Rücktritt oder Vertragsanpassung

Die Möglichkeit, den Vertrag anzupassen oder rückzutreten, richtet sich maßgeblich nach dem Verschuldensgrad des Versicherungsnehmers.

Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit

  • Rücktritt (§ 19 Abs. 2 VVG):
    Wird ein gefahrerheblicher Umstand vorsätzlich oder grob fahrlässig verschwiegen und hätte der Versicherer den Vertrag bei Kenntnis nicht abgeschlossen, kann der Versicherer den Vertrag rückwirkend auflösen. Dies führt zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers, sofern nicht gemäß § 19 Abs. 4 VVG zunächst eine Vertragsanpassung möglich ist.
  • Vertragsanpassung:
    Liegt ein solches Fehlverhalten vor und wären bei korrekter Anzeige vertragsmodifizierende Umstände eingetreten, so kann der Versicherer den Vertrag durch Prämienerhöhung oder Risikoausschluss anpassen. Voraussetzung ist, dass der Vertrag bei Kenntnis der Umstände zu anderen Bedingungen geschlossen worden wäre.

Einfache Fahrlässigkeit

  • Kündigung:
    Bei einfacher Fahrlässigkeit ist ein Rücktritt nicht möglich. Der Versicherer kann gemäß § 28 Abs. 1 VVG den Vertrag mit einer Frist von einem Monat kündigen. Für bereits eingetretene Versicherungsfälle bleibt die Leistungspflicht gemäß § 19 Abs. 4 VVG unberührt.
  • Vertragsanpassung:
    Eine Vertragsanpassung kann bei einfacher oder grober Fahrlässigkeit rückwirkend zum Vertragsschluss erfolgen (§ 19 Abs. 4 S. 3 VVG). Bei schuldloser Pflichtverletzung kann sie nur ab Beginn der nächsten Versicherungsperiode erfolgen (BGH, Urteil v. 25.09.2019 – IV ZR 247/18).

Kein Verschulden

Liegt kein Verschulden des Versicherungsnehmers vor, ist der Versicherer auf das Vertragsanpassungsrecht beschränkt. Weder Rücktritt noch Kündigung sind in diesem Fall zulässig.

Beweislast und Kausalitätsgegenbeweis

Der Versicherer trägt die Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung. Der Versicherungsnehmer hat jedoch die Möglichkeit, sich durch einen Kausalitätsgegenbeweis zu entlasten, indem er darlegt, dass der verschwiegenen Umstand weder den Eintritt des Versicherungsfalls noch den Schadensumfang beeinflusst hat.

Einschränkungen der Rechte des Versicherers: Schutz des Versicherungsnehmers

Das Gesetz sieht verschiedene Schutzmechanismen vor, um den Versicherungsnehmer vor einer einseitigen Benachteiligung zu bewahren.

Fristen und Belehrungspflicht

  • Verjährungsfristen:
    Das Rücktrittsrecht erlischt regulär nach fünf Jahren, außer bei bereits eingetretenen Versicherungsfällen, bei arglistigem Verhalten erst nach zehn Jahren.
  • Monatsfrist:
    Rücktritt, Kündigung bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung oder Vertragsanpassungen müssen innerhalb eines Monats nach Kenntnis der Umstände erfolgen.
  • Belehrungspflicht:
    Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer in Textform über die Folgen von Anzeigepflichtverletzungen informieren. Fehlt diese Belehrung, ist ein Rücktritt unwirksam – ausgenommen bei arglistiger Täuschung.

Wahrung der Vertragsidentität

Bei einer Vertragsanpassung darf der Versicherer keine grundlegenden Änderungen vornehmen, die den ursprünglichen Charakter des Vertrages verändern. Ein Wechsel von einer Berufsunfähigkeits- zu einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung wäre beispielsweise unzulässig.

Gegenkündigungsrecht des Versicherungsnehmers

Erhöht sich die Prämie durch eine Vertragsanpassung oder wird ein Risiko vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, hat der Versicherungsnehmer das Recht, den Vertrag innerhalb eines Monats fristlos zu kündigen. Dieses Gegenkündigungsrecht schützt den Versicherungsnehmer vor einseitigen Vertragsänderungen zu seinen Lasten.

Ausschluss bei Kenntnis des Versicherers

Kann der Versicherer nachweisen, dass er die verschwiegenen Umstände bereits bei Vertragsschluss kannte oder hätte kennen müssen, kann er sich nicht später auf eine Anzeigepflichtverletzung berufen.

Wiederherstellung des Ursprungszustands

Erholt der Versicherungsnehmer den Zustand vor der Gefahrerhöhung – beispielsweise durch den Rückbau eines gefährlichen Anbaus – erlöschen die Rechte des Versicherers gemäß § 24 Abs. 3 VVG .

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Die Regelungen im VVG berücksichtigen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in spezifischen Bereichen wie bei Obliegenheitsverletzungen oder Risikoerhöhungen. Eine Abwägung der Umstände kann erforderlich sein, um eine einseitige Belastung des Versicherungsnehmers zu vermeiden und den fairen Versicherungsschutz zu fördern.

Konsequenzen bei Verletzung der Anzeigepflicht

Die vorvertragliche Anzeigepflicht bildet das Fundament für die Risikobewertung im Versicherungsverhältnis. Werden gefahrerhebliche Umstände nicht oder falsch angegeben, hat dies gravierende Folgen, die sich direkt auf den Versicherungsschutz auswirken können. Für Privatpersonen – insbesondere jene mit Vorerkrankungen oder gesundheitlichen Veränderungen – ist es essenziell, die potenziellen Konsequenzen zu kennen, um finanzielle und versicherungstechnische Nachteile zu vermeiden.

Überblick: Kündigung, Risikozuschlag und weitreichendere Folgen

Wird die Anzeigepflicht verletzt, kann dies zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen:

  • Kündigung und Rücktritt:
    Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht kann der Versicherer den Vertrag kündigen oder vom Vertrag zurücktreten. Dabei endet der Versicherungsschutz rückwirkend, sodass bereits gezahlte Prämien nicht zwangsläufig erstattet werden.
    Bei arglistiger Täuschung besteht zusätzlich das Recht zur Anfechtung des Vertrags, wodurch der Vertrag von Anfang an als nichtig gilt.
  • Risikozuschlag und Vertragsanpassung:
    Wird die Pflichtverletzung als einfache Fahrlässigkeit gewertet – also wenn der Vertrag auch bei korrekter Angabe abgeschlossen worden wäre –, kann der Versicherer den Vertrag anpassen. Dies erfolgt beispielsweise durch die Erhebung eines Risikozuschlags oder durch den Ausschluss bestimmter Leistungen, um das tatsächliche Risiko abzubilden.
  • Dauerhafte Leistungsfreiheit:
    Ist die Pflichtverletzung kausal für den eingetretenen Versicherungsfall und liegt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vor, kann der Versicherer im Schadensfall die Leistung verweigern. Dies bedeutet, dass der Versicherer dauerhaft von der Leistungspflicht befreit ist.
  • Verjährungsfristen:
    Rücktrittsansprüche verjähren in der Regel innerhalb von zwei Jahren ab Kenntnis der Pflichtverletzung. Bei arglistigem Verschweigen verlängert sich diese Frist auf bis zu zehn Jahre, was zu einer langen Unsicherheit für den Versicherungsnehmer führen kann.

Unterscheidung zwischen Pflicht- und freiwilligen Versicherungen (§ 193 Abs. 3 VVG)

Im Bereich der Pflichtversicherungen, insbesondere in der privaten Krankenversicherung, gelten spezielle Regelungen:

  • Krankenversicherungspflicht und Basistarif:
    Personen, die unter die subsidiäre Krankenversicherungspflicht fallen, müssen im Basistarif abgesichert werden. Dieser Tarif orientiert sich an den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und unterliegt einem Kontrahierungszwang, der den Abschluss auch bei Vorerkrankungen sicherstellen soll.
  • Eingeschränkte Sanktionsmöglichkeiten:
    In Pflichtversicherungen sind die Sanktionsmöglichkeiten des Versicherers begrenzt. Ein vollständiger Rücktritt oder eine Kündigung aufgrund einer Anzeigepflichtverletzung ist bei nicht vorsätzlichen Verstößen nicht zulässig. Stattdessen können Tarifwechsel, Selbstbehaltserhöhungen oder Leistungsanpassungen vorgenommen werden. Bei arglistiger Täuschung bleibt ein Rücktritt jedoch möglich.
  • Abgrenzung zu freiwilligen Versicherungen:
    Bei freiwilligen Versicherungen gelten die allgemeinen Regelungen. Hier kann der Versicherer bei Pflichtverletzungen leichter kündigen oder den Vertrag anfechten, da keine gesetzliche Versicherungspflicht besteht.

Beispiele aus der Praxis: Mögliche Fallstricke für Privatpersonen

Konkrete Fallbeispiele veranschaulichen, wie Anzeigepflichtverletzungen zu erheblichen Nachteilen führen können:

  • Vorerkrankungen in der Krankenversicherung:
    Wird eine bestehende Asthma-Erkrankung im Antragsformular nicht angegeben, kann der Versicherer im Leistungsfall die Kostenübernahme verweigern oder den Vertrag rückwirkend kündigen, da die Risikoeinschätzung nicht korrekt erfolgt ist.
  • Falsche Angaben bei der Lebensversicherung:
    Wird der Nichtraucherstatus angegeben, obwohl regelmäßig geraucht wird, kann dies zu einem vollständigen Leistungsausschluss führen, sodass im Todesfall keine Leistungen erbracht werden.
  • Nichtangabe von risikoreichen Hobbys:
    Das Verschweigen eines gefährlichen Hobbys, wie etwa Bergsteigen, kann im Schadensfall zu einem vollständigen Leistungsausschluss führen, sofern der Schaden in direktem Zusammenhang mit dem Hobby steht.
  • Bagatellisierung vermeintlich unwichtiger Angaben:
    Auch scheinbar „kleine“ Gesundheitsinformationen, wie frühere psychologische Beratungen, können relevant sein. Das Missachten solcher Angaben kann im Ernstfall zu weitreichenden Konsequenzen führen, wenn der Zusammenhang zur Schadensentstehung nachgewiesen wird.

Verschiedene Versicherungssparten und der Umgang mit gefahrerheblichen Umständen

Die korrekte Angabe gefahrerheblicher Umstände ist für den umfassenden Versicherungsschutz entscheidend. Je nach Versicherungssparte variiert die Risikoprüfung erheblich . Die folgenden Abschnitte geben einen Einblick in die unterschiedlichen Anforderungen und Konsequenzen, die in den Bereichen Kranken-, Lebens- und Berufsunfähigkeits- sowie Sach- und Haftpflichtversicherungen relevant sind.

Anwendung bei Krankenversicherungen: Gesundheitsfragen und Risikoerhöhung

In der privaten Krankenversicherung erfolgt die Risikoprüfung anhand eines detaillierten Fragenkatalogs zu Vorerkrankungen, laufenden Behandlungen der letzten 5-10 Jahre und gesundheitsrelevanten Faktoren wie dem Body-Mass-Index. Typische gefahrerhebliche Umstände sind beispielsweise chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck, psychische Vorerkrankungen und ein ungünstiger Body-Mass-Index.

Wird die Anzeigepflicht verletzt – insbesondere durch vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschangaben – kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten (bei Vorsatz) oder den Vertrag zu geänderten Bedingungen fortführen (bei grober Fahrlässigkeit), etwa durch Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse. Entscheidend ist dabei, dass der Versicherungsnehmer über alle relevanten Gesundheitsinformationen der letzten 5-10 Jahre verfügt und diese vollständig offenlegt. Praktische Tipps sind, die Krankenakte vor dem Ausfüllen des Antrags zu konsultieren und bei Unklarheiten ärztlichen Rat einzuholen.

Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen: Besonders wichtige Angaben

Die Risikoprüfung in Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen legt besonderen Wert auf die Offenlegung gesundheitlicher und berufsspezifischer Risiken. Neben körperlichen Vorerkrankungen wie orthopädischen Problemen oder neurologischen Störungen werden auch psychische Belastungen und stationäre Aufenthalte abgefragt. Hier definiert die Rechtsprechung den Begriff der Gefahrerhöhung nach §§23, 27 VVG: Nur solche Umstände, die den Versicherer veranlasst hätten, den Vertrag abzulehnen oder zu verteuern, sind maßgeblich.

Typische Fallstricke ergeben sich durch unklare Fragenformulierungen oder retrospektive Fehleinschätzungen, wie ein Urteil des OLG Hamm zeigt, bei dem das arglistige Verschweigen einer Depression zum vollständigen Leistungsausschluss führte. Versicherungsnehmer sollten daher Gesundheitsfragen besonders sorgfältig und vollständig beantworten sowie alle Angaben dokumentieren.

Besondere Regelungen bei Sach- und Haftpflichtversicherungen

Bei Sach- und Haftpflichtversicherungen stehen andere Risiken im Fokus als bei Personenversicherungen. Hier kommen häufig detaillierte Gefahrenkataloge in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zum Einsatz. Typische gefahrerhebliche Umstände umfassen beispielsweise Nutzungsänderungen, technische Risiken oder Sicherheitsmängel, die den Versicherungsschutz beeinflussen können.

Nach § 23 VVG ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, wesentliche Änderungen, die zu einer Gefahrerhöhung führen, unverzüglich mitzuteilen. Unterlässt er dies, kann der Versicherer Leistungen kürzen oder verweigern – sofern ein Zusammenhang zwischen der Gefahrerhöhung und dem Schadensfall besteht; dies gilt jedoch nicht bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten. In der Haftpflichtversicherung gelten zudem erweiterte Aufklärungspflichten, insbesondere bei beruflichen Risiken, wie etwa bei Architekten, die in erdbebengefährdeten Gebieten tätig sind. Versicherungsnehmer sollten daher ihre AVB genau lesen und bei Änderungen umgehend den Versicherer informieren, um spätere Konflikte zu vermeiden.

Wichtig zu beachten: Eine sorgfältige und vollständige Offenlegung aller gefahrerheblichen Umstände ist entscheidend, um unerwartete Leistungskürzungen oder den Verlust des Versicherungsschutzes zu vermeiden.

Tipps zur sicheren Erfüllung der Anzeigepflicht

Die Erfüllung der vorvertraglichen und nachvertraglichen Anzeigepflichten ist essenziell, um spätere Leistungskürzungen oder den Verlust des Versicherungsschutzes zu vermeiden. Dieser Leitfaden zeigt praxisnahe Strategien und Handlungsempfehlungen, mit denen Versicherungsnehmer Unsicherheiten ausräumen, Transparenz schaffen und ihre Rechte wahren können.

Klärung offener Fragen beim Versicherungsantrag: Was Sie im Zweifel tun können

Die vorvertragliche Anzeigepflicht gemäß §19 VVG verlangt, dass alle gefahrerheblichen Umstände vollständig und wahrheitsgemäß offengelegt werden. Bei unklaren Formulierungen oder Interpretationsspielräumen in Antragsfragen können unbeabsichtigte Pflichtverletzungen entstehen. Es gilt daher der Grundsatz: Im Zweifel angeben.

Versicherungsnehmer sollten folgende Maßnahmen ergreifen:

  • Konsultation von Unterlagen: Systematische Prüfung medizinischer Befunde und beruflicher Risikobewertungen zur lückenlosen Rekonstruktion der eigenen Historie
  • Rücksprache mit Experten: Hinzuziehung unabhängiger Versicherungsmakler oder Rechtsberater bei unklaren Fachbegriffen oder komplexen Fragen
  • Dokumentation der Angaben: Archivierung von Antragskopien und allen begleitenden Unterlagen als potenzielle Beweismittel

Bei weit gefassten Fragen – etwa „Haben Sie in den letzten fünf Jahren gesundheitliche Beschwerden gehabt?“ – sind auch vorübergehende Symptome anzugeben, sofern sie das versicherte Risiko beeinflussen könnten. Wie die Rechtsprechung zeigt, erfassen solche Formulierungen jede nicht offenkundig belanglose Gesundheitsbeeinträchtigung.

Wann und wie zusätzliche Angaben nach Vertragsabschluss erforderlich sind

Die Anzeigepflicht endet nicht mit dem Vertragsabschluss. Gemäß §23 VVG sind Versicherungsnehmer verpflichtet, nachträgliche Gefahrerhöhungen unverzüglich, ohne schuldhaftes Zögern, mitzuteilen, wenn sich Umstände ergeben, die das Versicherungsrisiko signifikant verändern.

Typische Beispiele für solche Änderungen sind:

  • Berufliche Veränderungen: Ein Wechsel in eine Tätigkeit mit höherem Risiko (z.B. gefährliche Tätigkeiten)
  • Technische oder bauliche Änderungen: Umbauten oder Installationen (z. B. Solaranlagen), die das Brandrisiko erhöhen
  • Veränderung der Nutzung: Die Umnutzung von Räumen, etwa wenn ein Hobbyraum zu einem gewerblichen Bereich wird
  • Fahrzeugmodifikationen: Technische Änderungen am versicherten Kfz ohne TÜV-Abnahme

Die Mitteilung muss unverzüglich  erfolgen – empfohlen wird eine nachweisbare Form (z.B. per E-Mail oder Einschreiben). Der Versicherungsnehmer sollte eine konkrete Beschreibung der Änderung sowie den Zeitpunkt des Eintritts angeben. Wird diese Pflicht vernachlässigt, können Konsequenzen wie eine außerordentliche Kündigung des Vertrags, eine Prämienanpassung oder Leistungsfreiheit im Schadensfall drohen.

Umgang mit späteren Änderungen gefahrerheblicher Umstände

Um den langfristigen Versicherungsschutz zu sichern, sollten Versicherungsnehmer einen proaktiven Ansatz verfolgen und ihre Risikolage regelmäßig überprüfen. Dies umfasst:

  • Systematische Risikokontrolle: Führen Sie eine jährliche Selbstbewertung durch, bei der Sie Ihre gesundheitliche Situation, berufliche Risiken, Eigentumsverhältnisse und Hobbys überprüfen.1
  • Externe Beratung: Bei komplexen Veränderungen – wie größeren Umbauten oder dem Einstieg in risikoreichere Tätigkeiten – kann es sinnvoll sein, juristischen oder versicherungstechnischen Rat einzuholen.
  • Frühzeitige Abstimmung mit dem Versicherer: Bei Zweifeln an der Relevanz einer Änderung nehmen Sie frühzeitig schriftlich Kontakt mit Ihrem Versicherer auf. Eine klare Kommunikation in Form einer schriftlichen Anfrage sichert den Nachweis und klärt mögliche Unklarheiten.
  • Vertragsanpassung: Bei wesentlichen Risikoänderungen kann der Versicherer den Vertrag einseitig anpassen (§19 VVG). Dies umfasst Prämienanpassungen oder Leistungsausschlüsse. Der Versicherungsnehmer hat ein Kündigungsrecht bei Prämienerhöhungen über 10%2.

Beispielsweise kann der Einbau eines Heimkinos mit komplexen Elektroinstallationen das Brandrisiko erhöhen. Wird dies nicht rechtzeitig mitgeteilt, riskiert der Versicherungsnehmer, dass der Versicherungsschutz im Schadensfall gekürzt oder ganz verweigert wird. Ein systematischer Ansatz, vergleichbar mit einer jährlichen „TÜV-Prüfung“ des Versicherungsvertrages, hilft dabei, den Vertrag stets an den aktuellen Risikostatus anzupassen.

Wichtig zu beachten: Eine lückenlose Dokumentation und proaktive Kommunikation mit dem Versicherer sind der Schlüssel zur sicheren Erfüllung der Anzeigepflicht und zur Vermeidung späterer Streitigkeiten.

Fristen, Verjährung und Reaktionsmöglichkeiten im Versicherungsrecht

Die Beachtung der zeitlichen Grenzen und Verjährungsfristen ist essenziell, um bei Anzeigepflichtverletzungen sowohl die Rechte des Versicherers als auch die des Versicherungsnehmers zu wahren. Unkenntnis dieser Fristen kann zu erheblichen finanziellen Nachteilen und Streitigkeiten führen.

Zeitliche Grenzen für Rücktritt und Anfechtung durch den Versicherer (§ 21 VVG)

Der Versicherer muss seine Rechte, etwa den Rücktritt oder die Anfechtung wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung, innerhalb eines Monats nach vollständiger Kenntnis der Pflichtverletzung geltend machen. Diese Frist beginnt, sobald der Versicherer sowohl die objektive Verletzung der Anzeigepflicht als auch das Verschulden (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) des Versicherungsnehmers erkannt hat. Zusätzlich unterliegen diese Ansprüche einer absoluten Verjährungsfrist: Im Regelfall verjähren sie fünf Jahre nach Vertragsschluss – bei vorsätzlicher oder arglistiger Verletzung der Pflicht verlängert sich die Frist auf zehn Jahre. Ein Rücktritt führt nur dann zur vollständigen Leistungsfreiheit, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadensfall besteht. Alle Erklärungen müssen in Textform erfolgen, um die Beweissicherung zu gewährleisten.

Welche Fristen müssen Versicherungsnehmer beachten?

Versicherungsnehmer müssen zwar nicht selbst aktiv Fristen einhalten, sind aber verpflichtet, auf Mitteilungen des Versicherers zeitnah zu reagieren. Bei einer Vertragsanpassung nach § 19 Abs. 4 VVG hat der Versicherungsnehmer eine einmonatige Kündigungsfrist ab dem Zugang der Mitteilung, um ungünstige Vertragsänderungen abzulehnen. Im Falle einer Arglistanfechtung gilt zudem die zivilrechtliche Verjährungsfrist gemäß § 124 BGB: Die Anfechtung muss innerhalb eines Jahres ab Entdeckung der Täuschung erfolgen, spätestens jedoch zehn Jahre ab Vertragsschluss  Sollte der Versicherer seine Fristen versäumen, kann der Versicherungsnehmer die Verjährungseinrede erheben. Es ist ratsam, alle Schreiben des Versicherers umgehend zu prüfen und bei Unsicherheiten frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen.

Handlungsmöglichkeiten bei Auseinandersetzungen mit dem Versicherer

Bei Streitigkeiten über die Wirksamkeit eines Rücktritts oder einer Anfechtung stehen dem Versicherungsnehmer verschiedene strategische Optionen zur Verfügung:

  • Überprüfung der formellen Voraussetzungen: Der Versicherer muss nachweisen, dass er den Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss in Textform über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung belehrt hat (§ 19 Abs. 2 VVG). Fehlt eine ordnungsgemäße Belehrung, kann der Rücktritt unwirksam sein.
  • Substantielle Verteidigung: Der Versicherungsnehmer kann geltend machen, dass die verschwiegenen Umstände nicht als gefahrerheblich einzustufen waren oder dass der Vertrag auch bei Kenntnis der Umstände zu anderen Bedingungen abgeschlossen worden wäre (vgl. § 21 VVG).
  • Kausalitätsprüfung: Es muss geprüft werden, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Versicherungsfall besteht. Liegt kein solcher Zusammenhang vor, bleibt die Leistungspflicht des Versicherers bestehen.
  • Mediation und gerichtliche Durchsetzung: Bei unklarer Beweislage kann ein versicherungsrechtliches Gutachten eingeholt werden. Alternativ kann der Streit vor einem Land- oder Oberlandesgericht verhandelt werden (§§ 12-14 ZPO).
  • Verjährungseinrede: Falls der Versicherer die gesetzlich vorgeschriebenen dreijährigen Fristen versäumt, kann der Versicherungsnehmer die Einrede der Verjährung erheben (§ 15 VVG i.V.m. § 195 BGB).

Die frühzeitige Inanspruchnahme juristischen Rats und ein proaktives Vorgehen sind entscheidend, um die eigenen Rechte im Streitfall effektiv zu wahren und eine faire Lösung zu erreichen.

Zusammenfassung und häufige Fehler vermeiden

Die korrekte Erfüllung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gemäß §19 VVG ist für den Erhalt eines zuverlässigen Versicherungsschutzes von zentraler Bedeutung. Fehler bei der Angabe vom Versicherer konkret abgefragter risikorelevanter Umstände können zu kostspieligen Vertragsstreitigkeiten sowie Vertragsanpassungen, Kündigungen oder im Betrugsfall zur vollständigen Leistungsverweigerung führen. Im Folgenden erfahren Sie, welche typischen Missverständnisse (wie die Annahme einer allgemeinen Offenbarungspflicht ohne Fragenkatalog) vermieden werden sollten und welche praktischen Maßnahmen – insbesondere unter Beachtung der einmonatigen Frist für Versicherer zur Rechtsausübung (§19 Abs. 4 VVG) – Ihren rechtlichen und finanziellen Schutz sichern.

Die häufigsten Missverständnisse bei der Anzeigepflicht

  • Missverständnis 1: Nur offensichtlich risikorelevante Umstände müssen angegeben werden.
    Viele Versicherungsnehmer gehen fälschlicherweise davon aus, dass nur solche Umstände offengelegt werden müssen, die ihnen persönlich als riskant erscheinen. Tatsächlich sind gemäß § 19 VVG alle gefahrerheblichen Umstände anzeigepflichtig – auch scheinbar unbedeutende Details wie eine „harmlose“ Vorerkrankung oder ein Hobby, das der Versicherer intern als risikorelevant einstuft . Die Gefahrerheblichkeit bestimmt ausschließlich der Versicherer anhand seiner Risikoprüfungsrichtlinien
  • Missverständnis 2: Die subjektive Einschätzung der Gefahrerheblichkeit durch den Versicherungsnehmer ist ausreichend.
    Während viele Laien ihre Gesundheits- oder Risikofaktoren selbst bewerten, entscheiden die internen Kriterien des Versicherers über die Gefahrerheblichkeit . Beispielsweise kann ein leicht erhöhter Blutdruck in den Versicherungsbedingungen als Ausschlusskriterium gelten, selbst wenn der Versicherungsnehmer dies für irrelevant hält.
  • Missverständnis 3: Mündliche Mitteilungen an Vermittler genügen.
    § 19 VVG verlangt ausdrücklich die Textform für Anzeigepflichten. Mündliche Angaben an Vermittler bieten nur dann Sicherheit, wenn sie schriftlich dokumentiert werden. Ausnahme: Bei Vertragsvermittlern gilt diese als „Auge und Ohr“ des Versicherers, sofern keine evidenten Vollmachtsmissbräuche vorliegen.

Hinweise zum Schutz Ihrer rechtlichen und finanziellen Interessen

  • Vollständige und schriftliche Dokumentation:
    Notieren Sie alle Angaben, die Sie im Versicherungsantrag machen, und bewahren Sie Kopien sämtlicher Unterlagen auf. Dies gilt insbesondere für Gesundheitsfragen in der Kranken- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Eine lückenlose Dokumentation schützt Sie vor späteren Streitigkeiten.
  • Rechtlichen Rat einholen:
    Bei Unklarheiten über die Relevanz einzelner Angaben oder die Auslegung von Fachbegriffen, insbesondere im Zusammenhang mit vorvertraglichen Anzeigepflichten nach §19 VVG, ist es ratsam, frühzeitig einen Fachanwalt für Versicherungsrecht zu konsultieren. Eine professionelle Beratung kann Ihnen helfen, teure Fehler zu vermeiden.
  • Beweislast des Versicherers prüfen:
    Im Streitfall muss der Versicherer nachweisen, dass eine Anzeigepflichtverletzung vorliegt und dass Sie diese auch bewusst oder grob fahrlässig begangen haben. Seien Sie sich Ihrer Rechte bewusst, denn oft trägt der Versicherer die Beweislast.
  • Beachten Sie die Fristen des Versicherers:
    Achten Sie darauf, ob der Versicherer seine gesetzlichen Fristen zur Geltendmachung von Kündigungsrechten bei Gefahrerhöhung gemäß §21 VVG einhält. Fristversäumnisse können dazu führen, dass Ihre Ansprüche gestärkt werden.
  • Doppelbelehrung prüfen:
    Versicherer sind verpflichtet, Sie in Textform über die Folgen von Falschangaben zu belehren. Fehlt diese Doppelbelehrung, kann die Geltendmachung von Anfechtungsrechten unwirksam sein. Prüfen Sie Ihre Vertragsunterlagen sorgfältig auf entsprechende Hinweise.

Praxisnah: Checkliste zur korrekten Angabe gefahrerheblicher Umstände

  1. Systematische Erfassung aller abgefragten Risikofaktoren:
    Gehen Sie das Antragsformular Zeile für Zeile durch und notieren Sie jede Frage. Berücksichtigen Sie dabei auch vermeintlich irrelevante Details wie kurzzeitige Arbeitsunfähigkeiten oder sportliche Aktivitäten, die als risikorelevant gelten könnten.
  2. Medizinische Dokumentation konsultieren:
    Fordern Sie, wenn nötig, vollständige Krankenakten bei Ihren behandelnden Ärzten an, um sicherzustellen, dass alle Diagnosen und Therapien korrekt erfasst werden.
  3. Schriftliche Ergänzung unklarer Angaben:
    Falls Unsicherheiten bestehen, ob ein Umstand meldepflichtig ist, reichen Sie eine separate schriftliche Erklärung ein. Eine Formulierung wie „Zur Sicherheit teile ich mit, dass …“ schafft zusätzliche Rechtssicherheit, ist jedoch keine gesetzliche Pflicht.
  4. Vermittlerkommunikation protokollieren:
    Notieren Sie alle Gespräche mit Ihrem Versicherungsmakler, besonders wenn mündliche Zusagen gemacht werden. Diese Praxis dient der Beweissicherung, hat aber keine explizite gesetzliche Grundlage.
  5. Fristen im Schadensfall beachten:
    Prüfen Sie sofort nach Erhalt von Mitteilungen des Versicherers, ob Rücktritts- oder Anpassungsfristen gemäß §24 VVG eingehalten wurden. Fordern Sie detaillierte Begründungen ein und lassen Sie diese gegebenenfalls durch einen Fachanwalt prüfen.
  6. Regelmäßige Vertragsüberprüfung:
    Aktualisieren Sie Ihren Versicherungsvertrag regelmäßig, insbesondere wenn sich Ihre Lebensumstände ändern. Informieren Sie den Versicherer umgehend über wesentliche Änderungen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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