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Diebstahl- und Raubversicherung – Obliegenheitsverletzung bei Vorlage einer Stehlgutliste

OLG Koblenz – Az.: 10 U 1678/05 – Urteil vom 15.12.2006

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft Leistungen aus einem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag wegen eines Einbruchsdiebstahlschadens.

Zwischen den Parteien besteht eine auf der Grundlage der Allgemeinen Bedingungen für Einbruchs-, Diebstahl- und Rauchversicherung (AERB 87) geschlossene Geschäftsversicherung.

In der Zeit vom 27. September 2003, 15:00 Uhr, und 28. September 2003, 15:30 Uhr, wurde in die Betriebsräume der Klägerin, die einen Fachmarkt mit Artikeln für das Friseurhandwerk betreibt, eingebrochen und ein Teil des dort lagernden Warenbestandes entwendet, wobei der Umfang des Schadens zwischen den Parteien streitig ist. Die Parteien streiten weiter darum, ob die Klägerin rechtzeitig die geforderte Stehlgutliste bei der Polizei sowie auch bei der Beklagten eingereicht hat oder ob die Beklagte insoweit wegen einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin leistungsfrei ist. Die Klägerin meldete den Schadensfall umgehend der Beklagten, die sodann ihren ehemaligen Agenten H… zu dem Schadensort entsandte. Dieser füllte anlässlich des von ihm durchgeführten Ortstermins am 30. September 2003 das als Schadensanzeige bezeichnete Formular (Bl. 22 d.A.) aus, welches den handschriftlichen Eintrag enthält: “Schadensaufstellung folgt (schnellstens) VN führt gerade Inventur durch, um den Schaden zu erfassen.“ Am 14. Oktober 2003 suchte sodann der Schadensregulierer M… die Betriebsräume der Klägerin auf, um Feststellungen zum Ausmaß des Schadens zu treffen. Ein weiterer Termin mit dem Schadensregulierer M… in Beisein eines Sachverständigen fand Ende Oktober oder im November 2003 statt.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2003 übersandte die Klägerin sodann die von ihr erstellte Stehlgutliste sowohl an die Beklagte als auch an die Ermittlungsbehörde.

Die Klägerin hat vorgetragen: Sie sei erstmals anlässlich des Ortstermins mit dem Zeugen M… am 28. Oktober 2003 auf das Erfordernis der zeitnahen Einreichung der Stehlgutliste aufmerksam gemacht worden; auf den möglichen Verlust des Versicherungsschutzes bei verspäteter Einreichung habe der Schadensregulierer sie indessen nicht hingewiesen. Im übrigen hätte sich auch bei postwendender Übergabe einer Auflistung des gestohlenen Gutes an die Polizei kein Fahndungserfolg eingestellt, da es sich bei den entwendeten Gegenständen um „Allerweltsgegenstände“ ohne besondere Individualisierungsmerkmale gehandelt habe, die dem konkreten Diebstahl bei ihr nicht zuverlässig hätten zugeordnet werden können. Zudem habe sie der Polizei unmittelbar nach Entdeckung des Schadens Art und Umfang der gestohlenen Gegenstände in einem groben Überblick bereits mitgeteilt.

Diebstahl- und Raubversicherung - Obliegenheitsverletzung bei Vorlage einer Stehlgutliste
Symbolfoto: Von sdecoret/Shutterstock.com

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Sparkasse K., (Geschäftszeichen …..53AB) 69.596,39 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 18. März 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, sie sei wegen der verspäteten Einreichung der Stehlgutliste und der darin liegenden Obliegenheitsverletzung von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei. Insoweit hat sie vorgetragen, die Klägerin sei sowohl von dem Zeugen H… als auch von dem Zeugen M… bei den jeweiligen Ortsterminen auf die Notwendigkeit der Einreichung einer Stehlgutliste hingewiesen worden. Sie beruft sich weiterhin auf eine bestehende Unterversicherung und bestreitet, dass der von der Klägerin behauptete Teil ihres Warenbestandes entwendet worden sei.

Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, weil die Beklagte infolge Obliegenheitsverletzung seitens der Klägerin durch verspätetes Einreichen der Stehlgutliste von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei geworden sei. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Die Klägerin macht geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung angenommen. Sie sei verpflichtet gewesen, unverzüglich ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen einzureichen. Unverzüglich bedeute nach der auch im Versicherungsrecht geltenden Legaldefinition des § 121 BGB: „ohne schuldhaftes Zögern.“ Ein solches sei auf ihrer Seite nicht zu erkennen. Die dem Geschädigten einzuräumende Frist sei danach zu bemessen, wie viel Zeit er benötigt. In ihrem Betrieb würden ca. 12.000 verschiedene Artikel geführt. Eine kurzfristig durchgeführte Inventur hätte die Schließung des gesamten Geschäftsbetriebes erfordert und dadurch weitere Schäden verursacht. Die von ihr neben dem laufenden Geschäftsbetrieb durchgeführte Inventur habe unter Vermeidung dieser Schäden eine etwas längere Zeit in Anspruch genommen. Es seien aus einem Sortiment von ca. 12.000 Einzelartikeln verschiedene Artikelkategorien Haarkosmetik, Scheren und Haarschneidemaschinen in einem Umfang gestohlen worden, welcher zwei Transportwagen gefüllt habe. Die Stehlgutliste habe 19 Seiten umfasst. Ein derartiger Fall sei anders zu beurteilen als Fälle, in welchen wenige, leicht individualisierbare Sachen aus einem kleinen Sortiment gestohlen worden seien. Die Informationen über die gestohlenen Sachen, die sie ad hoc habe feststellen können, habe sie unmittelbar bei Aufnahme des Schadens an den den Diebstahl aufnehmenden Beamten weiter gegeben. Sie habe dabei detaillierte Angaben über Art und Marken der betreffenden Gegenstände gemacht und die entwendeten Mengen umrissen. Damit habe sie der Polizei bereits die Durchführung gezielter Fahndungsmaßnahmen ermöglicht. Sie habe den Zeugen H… von der Beklagten bereits am 30.9.2003 darauf aufmerksam gemacht, dass eine Inventur erforderlich sei und dass diese bei laufendem Betrieb nicht an einem Tag erfolgen könne. Bei dieser Sachlage hätte die Beklagte sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass notfalls eine Betriebsschließung zur Inventur erfolgen müsse und dass andernfalls der Verlust der Ansprüche drohe. Die Berufung der Beklagten auf eine Obliegenheitsverletzung sei deshalb treuwidrig. Außerdem habe die Einreichung der Stehlgutliste erst am 31.10.2003 keinen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfangs der Leistungspflicht der Beklagten gehabt. Der Beklagten sei auch deshalb verwehrt, sich auf Leistungsfreiheit wegen verspäteter Einreichung der Stehlgutliste zu berufen, weil sie trotz Fehlens der Stehlgutliste einen Termin für 13. November 2003 vereinbart habe, damit ein Sachverständiger die genaue Bewertung der Schadenshöhe durchführen könne. Eine Festlegung auf eine bestimmte Frist sei durch die Klägerin nicht erfolgt. Dies sei auch von der Beklagten nicht verlangt worden. Sie habe gegenüber dem Zeugen M… durch ihren Geschäftsführer erklärt, innerhalb einer Wochenfrist sei die Inventur nicht zu schaffen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Koblenz vom 17.10.2005, Az. 16 O 137/04, die Beklagte zu verurteilen, an die Sparkasse K., (Geschäftszeichen …..53AB) 69.596,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.3.2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor: Die Klägerin wäre verpflichtet gewesen, die begonnene Inventur zügig abzuschließen. Der Zeitraum von 33 Tagen sei zu lange und könne nicht mehr als unverzüglich angesehen werden. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, die Schadensfeststellung so schnell wie möglich durchzuführen. Wenn dies nicht anders möglich gewesen sei, hätte sie dazu auch ihren Betreib einstellen müssen. Der Klägerin sei auch bewusst gewesen, dass sie die Stehlgutliste spätestens bis 18.10.2003 habe einreichen müssen. Ein Hinweis, dass der Betrieb notfalls wegen der Inventur zu schließen sei, habe durch die Beklagte nicht erfolgen müssen. Zumindest sei es grob fahrlässig gewesen, die Stehlgutliste erst nach 33 Tagen bei der Polizei einzureichen. Der Termin vom 13.11.2003 sei zu einem Zeitpunkt vereinbart worden, als der Zeuge M… noch davon ausgegangen sei, dass die Stehlgutliste bis 18.10.2003 bei der Polizei eingereicht werde.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist jedenfalls im Sinn des Erlasses eines Grundurteils begründet.

Der Klägerin steht der Beklagten gegenüber dem Grunde nach ein Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung wegen eines Einbruchsdiebstahls zu.

Unstreitig wurde in die Betriebsräume der Klägerin in der Zeit zwischen 27. September 2003, 15:00 Uhr, und 28. September 2003, 15:30 Uhr, eingebrochen, so dass ein Versicherungsfall, für welchen die Beklagte einzustehen hat, grundsätzlich vorliegt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte gemäß § 6 Abs. 3 VVG iVm § 13 Abs. 1 b, Abs. 2 AERB leistungsfrei ist, weil die Klägerin ihre Obliegenheit der unverzüglichen Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei nicht erfüllt hat.

Gemäß § 13 Abs. 1b AERB hat der Versicherungsnehmer bei Eintritt eines Versicherungsfalles der Polizeibehörde unverzüglich ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen einzureichen. „Unverzüglich“ beschreibt nicht einen fest umrissenen Zeitraum, sondern bedeutet nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Auch im Versicherungsrecht hat dieser Begriff keinen anderen Inhalt. Unverzüglich verlangt keine sofortige, sondern eine unter den gegebenen Umständen und bei Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite alsbald mögliche und zumutbare Erklärung. Abzustellen ist auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalles ((Prütting/Wegen/Weinreich BGB, § 121 Rdn. 4). Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles kann auch der Zeitraum von insgesamt 33 Tagen zwischen dem Einbruch und dem Vorlegen der Schadensliste noch als unverzüglich angesehen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auf Seiten der Klägerin die Aufstellung der Schadensliste angesichts der Vielzahl der von ihr geführten Artikel mit erheblichen Schwierigkeiten und hohem zeitlichem Aufwand verbunden war, der üblicherweise bei der Anfertigung einer Schadensliste nicht anfällt. Es ist weiterhin zu bedenken, dass die Klägerin nach ihrem nicht substantiiert bestrittenen Vortrag bereits im Rahmen der Aufnahme des Einbruchs dem ermittelnden Polizeibeamten die Art und in grobem Maße den Umfang der gestohlenen Gegenstände mitgeteilt hatte. Hinzu kommt, dass es sich ausweislich der Stehlgutliste um Allerweltsartikel gehandelt hat, hinsichtlich deren nicht erwartet werden konnte, dass die Kenntnis der Marken und Anzahl der gestohlenen Waren im Detail deren Auffinden und die Zuordnung zu dem Einbruch bei der Klägerin erleichtert hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dies zu besonderen Fahndungsmaßnahmen Anlass geben konnte, wie dies z. B. bei einem wertvollen und individuellen Schmuckstück der Fall sein könnte. Auch die Interessen der Beklagten werden im vorliegenden Fall durch den Zeitablauf bis zur Vorlage der Stehlgutliste nicht beeinträchtigt. Zwar mag die Obliegenheit zur unverzüglichen Vorlage der Stehlgutliste auch die Vertragsgefahr reduzieren sollen, d. h. verhindern, dass der Versicherungsnehmer mit Fortschreiten der Zeit den Schaden künstlich aufbauscht. Dieses Interesse des Versicherers rechtfertigt es jedoch nicht, dem Versicherungsnehmer die angemessene und erforderliche Zeit für die Vorlage der Stehlgutliste zu verkürzen. Diesem Interesse des Versicherers wird in erster Linie dadurch Rechnung getragen, dass der Versicherungsnehmer die Höhe seines Schadens in vollem Umfang nachweisen muss.

Aber auch, wenn die Anzeige nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 13 Abs. 1 b AERB erfolgt sein sollte, würde dies nicht zu einer Leistungsfreiheit der Beklagten führen. Nach § 6 Abs. 3 S. 1 VVG tritt die Leistungsfreiheit dann nicht ein, wenn die Verletzung der Obliegenheit nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Maße missachtet und der nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten muss. Angesichts der Umstände des vorliegenden Falles kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin, welche den Zeitrahmen einer unverzüglichen Vorlage der Stehlgutliste allenfalls um einige wenige Tage überschritten hat, grob fahrlässig gehandelt hätte. Insoweit ist nach dem Beweisergebnis des ersten Rechtszugs eine hinreichend klare, nachdrückliche und merklich auch im Hinblick auf den möglichen Anspruchsverlust unmissverständliche Belehrung der Klägerin nicht belegt.

Da die Klage somit dem Grunde nach begründet ist, erscheint es zweckmäßig, dies vorab zwischen den Parteien klarzustellen. Zur Höhe ist die Sache noch nicht entscheidungsreif, so dass gemäß § 304 ZPO ein Grundurteil zu erlassen ist.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegeben sind.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 69.596,39 € festgesetzt.

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