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Berufsunfähigkeitsversicherung – Ausbildungsberufe – Nachprüfungsverfahren

Gericht bestätigt: Neue Tätigkeit beendet Berufsunfähigkeitsrente

Der Fall betrifft einen Streit über Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, wobei das OLG Nürnberg mit Hinweisbeschluss vom 15.12.2023 (Az.: 8 U 1646/23) beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuweisen, da die Klägerin nach Auffassung des Gerichts eine ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausübt und daher nicht mehr als berufsunfähig gilt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 U 1646/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das OLG Nürnberg plant, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth im Fall einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abzulehnen, da keine Aussicht auf Erfolg besteht.
  • Im Kern geht es darum, dass die Klägerin eine andere ihrer Qualifikation und bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausführt und somit nicht mehr als berufsunfähig angesehen wird.
  • Die Beklagte hatte die Berufsunfähigkeit zunächst anerkannt, stellte die Leistungen aber ein, als die Klägerin eine neue Tätigkeit aufnahm.
  • Das Landgericht sah keinen Anspruch der Klägerin auf weitere Leistungen, da sie in der Lage ist, eine andere ihrer Ausbildung und Erfahrung entsprechende Tätigkeit auszuüben.
  • Das Berufungsgericht folgt dieser Einschätzung und weist darauf hin, dass ein Versicherungsfall einstimmig als nicht mehr gegeben betrachtet wird.
  • Die Entscheidung berücksichtigt unter anderem, dass die Klägerin die neue Tätigkeit gesundheitlich ausführen kann und diese ihrer bisherigen Lebensstellung nicht widerspricht.
  • Die formellen Anforderungen für die Mitteilung über die Einstellung der Leistungen wurden als erfüllt angesehen.
  • Die Berufung wird als offensichtlich aussichtslos betrachtet, da die wesentlichen Tatsachen keine andere Entscheidung als die des Landgerichts rechtfertigen.

Alles was Sie über Berufsunfähigkeitsversicherungen wissen müssen

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist für viele Arbeitnehmer ein wichtiges Sicherheitsnetz. Sie springt ein, wenn man den zuletzt ausgeübten Beruf krankheitsbedingt nicht mehr ausüben kann. Doch was passiert, wenn man eine Ausbildung in einem ganz anderen Berufsfeld hat? Kann der Versicherer dann die Leistungen verweigern?

Entscheidend ist häufig, ob man eine andere zumutbare Tätigkeit ausüben kann, die der Ausbildung und bisherigen Lebensstellung entspricht. Dies kann in Nachprüfungsverfahren vor Gericht geklärt werden. Hier gilt es wichtige Kriterien wie Qualifikationen, Erfahrungen und soziale Stellung zu berücksichtigen – ein komplexes Feld also.

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➜ Der Fall im Detail


Streit um Berufsunfähigkeitsrente erreicht OLG Nürnberg

Im Zentrum des Rechtsstreits steht eine Klägerin, die seit 2003 eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung neben ihrer Kapitallebensversicherung bei der Beklagten unterhält. Nach einer im Juli 2019 gemeldeten Berufsunfähigkeit, die die Versicherung zunächst anerkannte und bis März 2020 Leistungen erbrachte, stellte die Beklagte diese mit der Begründung ein, die Klägerin übe seit Oktober 2019 eine Vollzeittätigkeit als Produktionsmitarbeiterin aus, die ihrer Qualifikation und bisherigen Lebensstellung entspreche. Die Klägerin sieht sich weiterhin als berufsunfähig an und forderte die Fortsetzung der Rentenzahlungen, woraufhin das Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage vollständig abwies. Das Gericht argumentierte, die Klägerin sei in der Lage, eine ihrer Ausbildung und Erfahrung entsprechende Tätigkeit auszuüben.

OLG Nürnberg lehnt Berufung ab

Das OLG Nürnberg bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und beabsichtigte, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. Die einstimmige Meinung des Senats begründete sich darauf, dass keine Erfolgsaussicht der Berufung bestehe und weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erforderlich mache. Besonders hervorgehoben wurde die Unstreitigkeit des Versicherungsfalls und die Bindung der Beklagten an ihr anfängliches Anerkenntnis. Die Berufung konzentrierte sich somit auf die Prüfung, ob die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit weiterhin vorlagen.

Maßgebliche Gründe für die Gerichtsentscheidung

Das Gericht erörterte ausführlich die Bedingungen der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und die Umstände der neuen Tätigkeit der Klägerin. Es wurde festgestellt, dass die Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin den Bedingungen der Versicherung entsprach, da sie weder besondere körperliche Anforderungen stellte noch die Lebensstellung der Klägerin beeinträchtigte. Das Gericht betonte, dass bei der Nachprüfung der Berufsunfähigkeit auch neu erworbene Fähigkeiten berücksichtigt werden müssen, die die Klägerin in ihrem neuen Beruf unter Beweis stellen konnte.

Keine Leistungspflicht der Versicherung

Die Beklagte wurde als nicht mehr leistungspflichtig angesehen, da die Klägerin eine ihrer Qualifikation entsprechende Vollzeittätigkeit ausübte. Entscheidend war hierbei, dass die neue Tätigkeit der Klägerin keine gesundheitlichen Einschränkungen mit sich brachte und sie somit nicht mehr als berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen galt. Die formellen Anforderungen für die Mitteilung der Leistungseinstellung wurden als erfüllt betrachtet, und das Gericht wies darauf hin, dass die Klägerin in der Lage war, das Prozessrisiko angemessen einzuschätzen.

Empfehlung zur Rücknahme der Berufung

Abschließend empfahl der Senat der Klägerin, die Berufung zurückzunehmen, um eine Reduzierung der Gerichtskosten zu erreichen. Diese Empfehlung unterstreicht die eindeutige Position des Gerichts bezüglich der Auslegung der Versicherungsbedingungen und der Bewertung der neuen Tätigkeit der Klägerin. Der Fall zeigt auf, wie wichtig die genaue Prüfung der Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeit ist und dass die konkrete Ausübung einer anderen Tätigkeit entscheidend für die Beurteilung der Leistungspflicht einer Berufsunfähigkeitsversicherung sein kann.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Wie funktioniert das Nachprüfungsverfahren bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung?

Das Nachprüfungsverfahren bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung läuft folgendermaßen ab:

Wenn der Versicherer die Leistungen aus der BU-Versicherung unbefristet anerkannt hat, darf er in regelmäßigen Abständen (meist jährlich) überprüfen, ob die Berufsunfähigkeit noch besteht. Dazu sendet er dem Versicherten einen Fragebogen zu oder kontaktiert ihn telefonisch.

Der Versicherte ist verpflichtet, die Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten und an der Nachprüfung mitzuwirken. Er muss darlegen, wie sich sein Gesundheitszustand und seine berufliche Situation seit der Anerkennung der BU verändert haben.

Der Versicherer prüft dann anhand der Angaben und ggf. durch Einholung zusätzlicher ärztlicher Unterlagen, ob der Versicherte noch immer berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen ist, also seinen zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr zu mindestens 50% ausüben kann.

Kommt der Versicherer zu dem Ergebnis, dass keine Berufsunfähigkeit mehr vorliegt, muss er dies dem Versicherten mitteilen und ausführlich begründen. Die Beweislast liegt hier beim Versicherer.

Die Leistungen dürfen nur eingestellt werden, wenn entweder der erforderliche BU-Grad nicht mehr erreicht wird oder der Versicherte tatsächlich wieder einer seiner Ausbildung und Erfahrung entsprechenden Tätigkeit nachgeht. Eine Verbesserung des Gesundheitszustands allein reicht nicht aus.

Dem Versicherten steht es frei, die Entscheidung des Versicherers überprüfen zu lassen und sich ggf. anwaltlich dagegen zur Wehr zu setzen. Fehler, die bei der ursprünglichen Leistungsprüfung gemacht wurden, können durch die Nachprüfung aber nicht korrigiert werden.

Zusammengefasst dient das Nachprüfungsverfahren dazu, zu kontrollieren, ob die Voraussetzungen für den Leistungsbezug noch gegeben sind. Es liegt in der Beweispflicht des Versicherers, eine Einstellung der Zahlungen zu begründen. Der Versicherte muss mitwirken, kann sich aber gegen eine unrechtmäßige Entscheidung wehren.

Welche Rolle spielen Ausbildungsberufe bei der Beurteilung von Berufsunfähigkeit?

Ausbildungsberufe spielen eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von Berufsunfähigkeit:

Maßgeblich für die Feststellung der Berufsunfähigkeit ist der zuletzt ausgeübte Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war. Dabei wird nicht nur die Art der Tätigkeit, sondern auch der zeitliche Umfang, also die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, berücksichtigt.

Auszubildende gelten bereits dann als berufsunfähig, wenn sie ihre Ausbildung krankheitsbedingt nicht fortsetzen oder den angestrebten Beruf später nicht ausüben können. Manche Versicherer erkennen die Ausbildungsunfähigkeit explizit als Leistungsfall an.

Bei der Verweisung auf eine andere Tätigkeit müssen Ausbildung und Erfahrung des Versicherten gewahrt bleiben. Die neue Tätigkeit muss der bisherigen Qualifikation entsprechen. Ein Dachdecker mit Schwindelanfällen kann z.B. nicht auf Büroarbeit verwiesen werden.

Nimmt der Versicherte nach Eintritt der Berufsunfähigkeit eigenständig eine vergleichbare Tätigkeit auf, kann ihn der Versicherer darauf konkret verweisen und die BU-Rente einstellen. Voraussetzung ist, dass die neue Arbeit der Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entspricht.

Für die Vergleichbarkeit ist neben der Qualifikation auch das Gehalt relevant. Verdient der Versicherte in der neuen Position über 20% weniger als zuvor, liegt weiterhin Berufsunfähigkeit vor. Ein Industriemechaniker, der nur noch als schlechter bezahlter Lagerist arbeiten kann, gilt demnach als berufsunfähig.

Zusammengefasst kommt es für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit entscheidend auf den erlernten Beruf und die zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit an. Eine Verweisung ist nur auf adäquate Tätigkeiten mit vergleichbarer Qualifikation und Vergütung zulässig. Versicherte sollten daher genau prüfen, wie ihr Vertrag die berufliche Vergleichbarkeit definiert.

Kann die Ausübung einer anderen Tätigkeit die Berufsunfähigkeitsrente beeinflussen?

Die Ausübung einer anderen Tätigkeit kann durchaus Einfluss auf die Berufsunfähigkeitsrente haben:

Wenn der Versicherte nach Eintritt der Berufsunfähigkeit eigenständig eine neue Tätigkeit aufnimmt, kann ihn der Versicherer darauf konkret verweisen und die BU-Rente einstellen. Dies nennt man „konkrete Verweisung“. Voraussetzung dafür ist aber, dass die neue Arbeit der Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung des Versicherten entspricht.

Entscheidend für die Vergleichbarkeit ist nicht nur das Einkommen, sondern auch das Ansehen des neuen Berufs. Verdient der Versicherte in der neuen Position über 20% weniger als zuvor, liegt weiterhin Berufsunfähigkeit vor. Ein Industriemechaniker, der nur noch als schlechter bezahlter Lagerist arbeiten kann, gilt demnach weiterhin als berufsunfähig.

Eine Verweisung von einem Ausbildungsberuf auf eine ungelernte Hilfstätigkeit ist in der Regel unzulässig. Der soziale Status muss gewahrt bleiben. Auch eine Umschulung führt nicht automatisch zum Verlust der BU-Rente, wenn der neue Beruf nicht gleichwertig ist.

Der Versicherte muss an der Verweisung mitwirken und den Versicherer über die Aufnahme einer neuen Tätigkeit informieren. Die Beweislast für die Vergleichbarkeit der Berufe liegt aber beim Versicherer. Fehler bei der ursprünglichen Leistungsprüfung können durch eine Verweisung nicht korrigiert werden.

Nimmt der Versicherte im alten Beruf wieder eine Tätigkeit auf, darf diese nicht mehr als 50% der früheren Arbeitszeit umfassen, sonst entfällt der BU-Anspruch. Bei einer anderen Tätigkeit liegt die Grenze bei ca. 80% des vorherigen Einkommens.

Zusammengefasst kann eine neue berufliche Tätigkeit zur Einstellung der BU-Rente führen, wenn sie mit dem bisherigen Beruf vergleichbar ist. Maßgeblich sind dabei Ausbildung, Erfahrung, Vergütung und soziale Wertschätzung. Der Versicherte sollte daher genau prüfen, ob sein Vertrag eine konkrete Verweisung zulässt und wie diese definiert ist.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 522 Abs. 2 ZPO: Dieser Paragraph regelt die Möglichkeit für Gerichte, eine Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn diese offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Im Kontext des Falles dient dieser Paragraph dazu, die Entscheidung des OLG Nürnberg zu begründen, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückzuweisen.
  • § 1 Nr. 1 BB-BUZ: Definiert die Voraussetzungen für die Leistungspflicht im Falle einer Berufsunfähigkeit innerhalb der Bedingungen einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Dieser Paragraph ist zentral, um die Anspruchsgrundlage der Klägerin zu verstehen und warum das Gericht einen Anspruch verneint hat.
  • § 172 Abs. 1 VVG: Regelt die Leistungspflicht des Versicherers im Versicherungsvertragsrecht, insbesondere bei Berufsunfähigkeitsversicherungen. Die Bezugnahme auf diesen Paragraphen im Kontext des Falles klärt die allgemeinen Rechtsprinzipien, die für Versicherungsverträge und damit verbundene Leistungsansprüche gelten.
  • § 173 Abs. 1 VVG und § 7 BB-BUZ: Diese Paragraphen sind relevant für das Verständnis, wie und unter welchen Umständen ein Versicherer im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens seine Leistungspflicht beenden kann. Sie unterstreichen die Bedeutung der fortlaufenden Überprüfung der Berufsunfähigkeit und die Anforderungen an die Versicherung, Leistungen einzustellen.
  • Art. 4 Abs. 3 EGVVG: Erläutert die Anwendung von VVG-Vorschriften auf Altverträge. Im konkreten Fall wird darauf hingewiesen, dass § 172 VVG nicht auf den Vertrag der Klägerin anwendbar ist, was für das Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen von Altverträgen wichtig ist.
  • SGB XI und SGB VI: Die Sozialgesetzbücher sind im Kontext der Ausführungen zur Tätigkeit der Klägerin als Pflegeperson und der rentenversicherungsrechtlichen Einordnung ihrer Tätigkeit relevant. Sie erklären die sozialrechtliche Bewertung von Pflegetätigkeiten und die Unterscheidung zwischen erwerbsmäßiger und ehrenamtlicher Arbeit.

Diese Gesetze und Paragraphen bilden die rechtliche Grundlage für die Beurteilung des Falls und sind essentiell für das Verständnis der Entscheidungsgründe des Gerichts. Sie beleuchten die komplexen rechtlichen Überlegungen, die bei der Beurteilung von Berufsunfähigkeitsfällen und den entsprechenden Versicherungsansprüchen eine Rolle spielen.


Das vorliegende Urteil

OLG Nürnberg – Az.: 8 U 1646/23 – Hinweisbeschluss vom 15.12.2023

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.07.2023, Az. 20 O 6997/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.

Die Parteien streiten über Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die die Klägerin seit dem Jahre 2003 gemeinsam mit einer Kapitallebensversicherung bei der Beklagten unterhält (Anlagenkonvolut K 1, Seiten 5 ff.).

Die Zusatzversicherung läuft bis zum 01.10.2024. Ihr liegen die Bedingungen der Beklagten für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (im Folgenden: BB-BUZ; Anlagenkonvolut K 1, Seiten 27 ff.) zugrunde. Abweichend von § 2 Nr. 1 BB-BUZ haben die Parteien Folgendes vereinbart:

„Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen mindestens zu 50% außerstande ist, ihren Beruf auszuüben. Dies gilt nicht, wenn die versicherte Person eine andere, ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausübt.

Die in den Bedingungen für die …Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung enthaltenen Regelungen zur Verweisbarkeit auf eine nicht tatsächlich ausgeübte Tätigkeit finden keine Anwendung, insbesondere gelten § 2 Ziffer 2 und 4 der Bedingungen für die …-Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht.

Bei der Nachprüfung der Berufsunfähigkeit (§ 7 Ziffer 1) werden neuerworbene Fähigkeiten in einem tatsächlich ausgeübten Beruf berücksichtigt.“

Für den Fall der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit sind die Zahlung einer jährlichen Berufsunfähigkeitsrente von 9.600,00 € sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für Haupt- und Zusatzversicherung vereinbart. Die Jahresprämie für die gesamte Versicherung betrug bei Vertragsbeginn 1.184,99 €.

Im Juli 2019 zeigte die Klägerin gegenüber der Beklagten eine eingetretene Berufsunfähigkeit an (Anlage B 1). Mit Schreiben vom 31.10.2019 erkannte die Beklagte eine seit dem 01.05.2018 bestehende Berufsunfähigkeit an (Anlage K 2) und erbrachte die vertraglichen Leistungen bis einschließlich März 2020. Unter dem 07.01.2020 teilte die Beklagte der Klägerin schriftlich mit, dass sie ihre Leistungen ab dem 01.04.2020 einstelle (Anlage K 3). Begründet wurde dies mit einer Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin bei der Fa. Ra…, die die Klägerin seit dem 01.10.2019 in Vollzeit ausübt.

Die Klägerin hält die Beklagte für weiterhin leistungspflichtig.

Das Landgericht hat die zuletzt auf Zahlung von rückständiger Berufsunfähigkeitsrente von 25.600,00 € (für April 2020 bis November 2022), Zahlung weiterer Rente von monatlich 800,00 €, Feststellung der Freistellung von der Beitragszahlungspflicht und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.728,48 € gerichtete Klage ohne Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Klägerin in der Lage sei, eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden könne und ihrer bisherigen Lebensstellung entspreche. Die Klägerin müsse sich auf ihre aktuelle Tätigkeit verweisen lassen.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre zuletzt gestellten erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.

II.

Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 1 Nr. 1 BB-BUZ verneint. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.

1. In rechtlicher Hinsicht ist zunächst folgende Klarstellung veranlasst:

Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils erwecken im Ausgangspunkt den Eindruck, als habe das Landgericht den Eintritt eines Versicherungsfalls geprüft und einen solchen verneint (LGU 7). Dabei hat die Vorinstanz § 172 Abs. 1 VVG in Bezug genommen, der jedoch auf den hier vorliegenden Altvertrag nicht anwendbar ist (Art. 4 Abs. 3 EGVVG). In der Sache hat das Landgericht dann aber überzeugend begründet, dass sich die Klägerin auf ihre aktuelle Tätigkeit verweisen lassen muss.

Im Übrigen ist der Eintritt eines Versicherungsfalls unstreitig. Er ist seitens der Beklagten mit Schreiben vom 31.10.2019 unbefristet anerkannt worden (§ 173 Abs. 1 VVG, § 5 BB-BUZ; Anlage K 2). Folglich war die Beklagte an ihr Anerkenntnis gebunden und konnte sich nur nach den Regeln des Nachprüfungsverfahrens von ihrer Leistungspflicht lösen (§ 7 BB-BUZ; vgl. BGH, Urteil vom 17.02.1993 – IV ZR 206/91, r+s 1994, 72, 73 m.w.N.). Demgemäß sind die nach § 7 Nr. 4 BB-BUZ zum Wegfall der Leistungspflicht führenden Voraussetzungen einer Nachprüfungsentscheidung Gegenstand der gerichtlichen Prüfung im vorliegenden Rechtsstreit. Dabei ist es Sache des Versicherers, im Nachprüfungsverfahren zu beweisen, dass die Voraussetzungen seiner Leistungspflicht nicht mehr erfüllt sind (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15, NJW 2017, 731 Rn. 18 m.w.N.). Das gilt namentlich für die Tatsachen, aus denen sich die Verweisbarkeit der Klägerin auf eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ergeben soll (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2012, 555).

2. Die Einstellungsmitteilung der Beklagten vom 07.01.2020 (Anlage K 3) genügte den formellen Anforderungen des § 7 Nr. 4 BB-BUZ. Danach ist die Leistungseinstellung dem Anspruchsberechtigten mitzuteilen. Dies hat gemäß § 14 Nr. 1 Satz 1 AVB schriftlich zu erfolgen.

Voraussetzung der Wirksamkeit einer solchen Mitteilung ist deren Nachvollziehbarkeit, also grundsätzlich eine Begründung, aus der für den Versicherten nachvollziehbar wird, warum nach Auffassung seines Vertragspartners die anerkannte Leistungspflicht enden soll (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 03.11.1999 – IV ZR 155/98, r+s 2000, 213, 215). Hat sich der Gesundheitszustand nicht geändert, aber eine neue Verweisungsmöglichkeit ergeben, ist eine berufsbezogene Vergleichsbetrachtung nötig und es müssen die hieraus abgeleiteten Folgerungen aufgezeigt werden. Dabei sind die frühere, bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit und die jetzt ins Auge gefasste Tätigkeit unter Darlegung der jeweiligen Anforderungen und erforderlichen Fähigkeiten sowie der finanziellen und sozialen Wertschätzung gegenüberzustellen (vgl. Prölss/ Martin/Lücke, VVG, 31. Aufl., § 174 Rn. 25; Knechtel in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, § 9 BUV Rn. 111). Die Anforderungen an die Vergleichsbetrachtung sind jedoch geringer, wenn bei einer konkreten Verweisung der Versicherte den neuen Beruf – wie hier – bereits ausübt, ihn also kennt und zu einer entsprechenden Beurteilung in der Lage ist (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Saarbrücken, r+s 2010, 521).

Die Einstellungsmitteilung vom 07.01.2020 nennt die frühere, bis Mai 2018 ausgeübte Tätigkeit der Klägerin und die sich auf diesen Beruf auswirkenden orthopädischen und psychischen Beeinträchtigungen. Ferner wird die seit Dezember 2019 ausgeübte Tätigkeit genannt, verbunden mit der Einschätzung, dass diese ohne medizinische Beeinträchtigungen bewältigt werden könne, weil keine schweren körperlichen Arbeiten anfielen. Diese knappen Ausführungen erscheinen noch ausreichend, um dem Informationsbedürfnis der Klägerin zu entsprechen und sie in die Lage zu versetzen, ihr Prozessrisiko abschätzen zu können. Gleiches gilt für die im Schreiben vom 07.01.2020 enthaltenen Ausführungen zur Wahrung der Lebensstellung. Erkennbares Ziel der Beklagten war es, nach dem Wegfall der Berufsunfähigkeit die Leistungen zum nächstmöglichen Zeitpunkt einzustellen. Dies war hier der Beginn des nachfolgenden Versicherungsvierteljahres, mithin der 01.04.2020.

3. Im Zeitpunkt der Mitteilung vom 07.01.2020 waren auch die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Wegfall der Leistungspflicht der Beklagten gegeben.

a) Für die Nachprüfungsentscheidung kommt es in materieller Hinsicht darauf an, dass eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen nicht mehr vorliegt. Berufsunfähigkeit ist hier durch besondere vertragliche Vereinbarung abweichend von § 2 Nr. 1 BB-BUZ in der Weise definiert, dass die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen mindestens zu 50% außerstande ist, ihren Beruf auszuüben. Dies gilt nicht, wenn die versicherte Person eine andere, ihrer Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausübt. Im Rahmen der Nachprüfung dürfen hierbei auch neu erworbene Fähigkeiten berücksichtigt werden.

b) Unstreitig ist die Klägerin seit dem 01.10.2019 bei der Fa. Ra… als Produktionsmitarbeiterin in der Abteilung Scan- und Dokumentenservice beschäftigt. Die Möglichkeit einer konkreten Verweisung war daher grundsätzlich eröffnet. Es steht auch nicht in Streit, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Mitteilung vom 07.01.2020 gesundheitlich imstande war, den Verweisungsberuf in einem die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließenden Grad auszuüben. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, dass die Tätigkeit im Verweisungsberuf weder eine besondere Beweglichkeit noch einen besonderen Kraftaufwand erfordere. Weite Laufwege müssten nicht zurückgelegt werden (Klageschrift, Seiten 7/8).

c) Die Verweisungstätigkeit muss sodann der Ausbildung, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung der versicherten Person entsprechen. Es handelt sich hierbei um zwei getrennt voneinander zu beurteilende Tatbestandsmerkmale (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 8 Rn. 37), d.h. Ausbildung und Erfahrung einerseits und bisherige Lebensstellung andererseits.

aa) Hinsichtlich der Ausbildung und Erfahrung ist auf den zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf abzustellen und danach zu fragen, welche Qualifikation die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung dieser Tätigkeit voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.2010 – IV ZR 8/08, NJW-RR 2010, 906 Rn. 11). Dabei geht es sowohl um die formale Qualifikation („Ausbildung“) als auch um die im praktischen Berufsleben erworbenen Fähigkeiten („Erfahrung“; vgl. Rogler in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, § 2 BUV Rn. 431).

Nach dem Vortrag der Klägerin war diese vor Eintritt des Versicherungsfalls bis April 2018 hauptsächlich mit der häuslichen Pflege ihrer Schwiegermutter, die im Jahre 2000 einen Schlaganfall erlitten hatte, beschäftigt. Die häusliche Pflege der Schwiegermutter umfasste nach Angaben der Klägerin insbesondere Kochen, Waschen, Putzen und Hilfe bei der Körperhygiene. Daneben übte die Klägerin bis Januar 2018 an zwei Tagen pro Woche eine Nebentätigkeit als Reinigungskraft in einem Kindergarten aus. Zudem war die Klägerin „seit etwa 2008“ auf 450-€-Basis als Kurierfahrerin für die Raiffeisenbank V… tätig.

bb) Den Schutz der Berufsunfähigkeitsversicherung genießen alle Tätigkeiten, die grundsätzlich der Erzielung von Einkommen dienen und geeignet sind, zum Lebensunterhalt des Versicherten beizutragen (vgl. OLG Saarbrücken, BeckRS 2005, 399; HK-VVG/Mertens, 4. Aufl., § 172 Rn. 23). Der Beruf beschränkt sich dabei nicht notwendigerweise auf eine einzelne Berufstätigkeit, sondern kann auch mehrere nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten erfassen (vgl. BGH, Beschluss vom 16.01.2019 – IV ZR 182/17, NJW-RR 2019, 664 Rn. 19).

Zutreffend und von der Berufung nicht angegriffen hat das Landgericht festgestellt, dass versicherter Beruf im Sinne der abweichend von § 2 Nr. 1 BB-BUZ getroffenen Vereinbarung hier die in Teilzeit ausgeübten Tätigkeiten als Reinigungskraft und Kurierfahrerin waren. Die häusliche Pflege der Schwiegermutter der Klägerin ist hingegen nicht maßgebend. (LGU 9/10). Es handelte sich insofern um eine Tätigkeit als Pflegeperson i.S.v. § 19 Satz 1 SGB XI. Die aufopfernde Pflege durch Angehörige stellt sich – auch bei Weiterleitung von Pflegegeld als Anerkennungsleistung – regelmäßig als nicht erwerbsmäßig, also als ehrenamtlich dar (vgl. BSG, NZS 2003, 213, 215). Dass hierfür eine gesonderte, über das Pflegegeld hinausgehende Vergütung gezahlt worden ist, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Dies lässt den Schluss zu, dass die Pflege ausschließlich aus persönlichen Gründen und nicht zur Erwirtschaftung eines dauerhaften Lebensunterhaltes geleistet wurde. Auch der Umstand, dass die Verpflichtung zur Pflege in einem bäuerlichen Hofübergabevertrag geregelt wurde, macht die Pflegetätigkeit des Angehörigen noch nicht zu einer „erwerbsmäßigen“ Pflege (vgl. BSG, BeckRS 2014, 73596).

Eine andere Würdigung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Pflegekasse Rentenversicherungsbeiträge für die Klägerin entrichtet hat (Anlage K 4). Denn die Klägerin war in diesem Zusammenhang nicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als Beschäftigte, sondern nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson rentenversicherungspflichtig (vgl. insoweit auch K 11: „Bei einer nicht erwerbsmäßigen Pflege wird als Entgelt ein fiktiver Verdienst angesetzt“).

Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erschließt sich, dass ehrenamtliche Tätigkeiten im privaten Bereich in Ermangelung einer gesonderten Vereinbarung nicht als versicherter „Beruf“ im Sinne der abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung gelten. Er wird erkennen, dass es für die Einordnung nicht auf individuelles Empfinden und persönliches Engagement, sondern auf die rechtliche Anerkennung als Erwerbstätigkeit ankommt.

cc) Die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit als Reinigungskraft in einem Kindergarten erforderte nach Ansicht des Senats keine formale Qualifikation. Das Ausleeren von Papierkörben und Mülleimern sowie das Säubern von Innenräumen kann nach kurzer Instruktion auch durch ungelernte Arbeitskräfte ausgeführt werden und bedarf keiner gesteigerten Erfahrung. Für die Tätigkeit als Kurierfahrerin einer Bank sind die Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs und eine allgemeine Zuverlässigkeit erforderlich. Zwar macht die Berufung geltend, dass die Tätigkeiten als Reinigungskraft und Kurierfahrerin Teil der Berufungsausbildung der Klägerin gewesen seien (Berufungsbegründung, Seite 3). Die Notwendigkeit einer besonderen Qualifikation vermag der Senat jedoch nicht zu erkennen und sie wird klägerseits auch nicht dargelegt. Es handelte sich jeweils um bloße Anlerntätigkeiten.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass ihre nunmehr ausgeübte Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin ohne jede zusätzliche Qualifikation „letzten Endes von jedem“ ausgeführt werden könne. Sie hat diese Anforderungen wie folgt näher beschrieben (Klageschrift, Seite 4):

„Die Klägerin beschäftigt sich in Vollzeit damit, dass sie den ganzen Tag an einem Schreibtisch mit Tischscanner und Monitor auf einem ergonomischen und sehr gut einstellbaren Schreibtischstuhl sitzt. Sie entnimmt Ordnern Blätter, entfernt Büroklammern, Tackernadeln und Postits. Eselsohren müssen glattgestrichen, die Blätter in ca. 10 cm hohe Stapel geschichtet und mit zwei Gummis gebündelt werden. Nötigenfalls muss ein Blatt gesondert auf dem Tischscanner gescannt werden. Hierzu ist weder ein besonderer Kraftaufwand noch eine sonstige, besondere Fähigkeit erforderlich.

Die Tätigkeit wiederholt sich den ganzen Tag, ist eintönig, wenig abwechslungsreich und insbesondere auch nicht mit Kontakt mit anderen Menschen verbunden.“

Somit ist als Zwischenergebnis festzustellen, dass die bisherige Tätigkeit als Reinigungskraft und Kurierfahrerin in fachlicher Hinsicht keine höheren Anforderungen an Ausbildung und Erfahrung gestellt hat als die spätere Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin. Gemessen am versicherten Beruf wird die Klägerin nicht in einer ins Gewicht fallenden Weise über- oder unterfordert. Dies greift die Berufung ebenfalls nicht an.

dd) Die Verweisungstätigkeit entspricht auch der bisherigen Lebensstellung der Klägerin (LGU 9). Die Lebensstellung wird v.a. durch die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit geprägt. Sie ist stets im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beurteilen. Die versicherte Person darf keinen unzumutbaren wirtschaftlichen oder sozialen Abstieg erleiden; ihr sozialer Status muss im Wesentlichen erhalten bleiben. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Berufs absinkt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15, NJW 2017, 731 Rn. 15 m.w.N.). Dabei geht es nicht um die individuelle Wertschätzung, sondern um das Ansehen, dass der Beruf als solcher dem verleiht, der ihn ausübt (abstrakt-generelle Betrachtung; vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 8 Rn. 114). Die Verweisung auf eine Tätigkeit in einem Beruf, der keine Ausbildung voraussetzt, stellt nicht von vornherein einen Abstieg in der sozialen Wertschätzung des Versicherungsnehmers dar (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.2010 – IV ZR 8/08, NJW-RR 2010, 906 Rn. 17).

Der bisherige Beruf und die Verweisungstätigkeit können über das Brutto- oder das Nettoeinkommen miteinander verglichen werden (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2012 − IV ZR 287/10, NJW-RR 2012, 811 Rn. 16). Vorzugswürdig erscheint der Nettovergleich, weil er die tatsächliche Lebensstellung besser widerspiegelt. Eine feste Grenze für eine nicht mehr hinnehmbare Einkommenseinbuße existiert nicht. Dies wird in der Regel aber erst ab einer Minderung von 20% in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 22.02.2021 – 8 U 2845/20, BeckRS 2021, 2223 Rn. 36). Derartiges ist hier nicht festzustellen. Entgegen der Ansicht der Klägerin (Berufungsbegründung, Seite 3) kommt es nicht entscheidend auf den Stundenlohn an. Bei der konkreten Verweisung ist für den Einkommensvergleich nicht auf die erzielbaren, sondern auf die tatsächlich erzielten Einkünfte abzustellen, denn diese prägen die konkrete Lebensstellung in besonderer Weise. Wird eine lediglich in Teilzeit ausgeübte Tätigkeit in die Vergleichsbetrachtung einbezogen, kann daher nicht auf eine fiktive Vollzeitvergütung abgestellt werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15, NJW 2017, 731 Rn. 21). Folglich ist auch nicht relevant, welchen Stundenlohn die Klägerin in ihrem einstmals erlernten Beruf als Hauswirtschafterin (fiktiv) erzielen könnte. Dies ist nicht der versicherte Beruf, d.h. er spiegelt nicht die bis zur Geltendmachung der Berufsunfähigkeit erreichte Stellung wider. Die Berufsunfähigkeitsversicherung sichert nicht eine künftige Verbesserung dieser Lebensumstände, die durch Beibehaltung des Ausbildungsberufs hätte erreicht werden können (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2019 – IV ZR 19/18, r+s 2019, 472 Rn. 29).

Fehlt es an einem Einkommensnachteil oder verdient die versicherte Person im neuen Beruf gar mehr als im bisherigen, ist damit in aller Regel nicht nur ihr wirtschaftlicher, sondern auch ihr sozialer Status gewahrt (vgl. Senatsurteil vom 01.02.2022 – 8 U 2196/21, r+s 2023, 504 Rn. 40). Im Streitfall gilt nichts anderes. Es ist nicht zu einem spürbaren sozialen Abstieg der Klägerin im Berufsleben und in der Gesellschaft gekommen. Ihr sozialer Status ist im Wesentlichen erhalten geblieben. Die Klägerin bekleidet nunmehr eine Vollzeitstelle mit 39 Wochenstunden. Zuvor übte sie zwei geringfügige Beschäftigungen im Umfang von zwei Stunden (Kurierfahrerin) bzw. acht Stunden (Reinigungskraft) pro Woche aus. Bei der gebotenen abstrakt-generellen Betrachtung genießt die mit dem Ordnen und Scannen von Dokumenten verbundene Tätigkeit als Produktionsmitarbeiterin keine nennenswert geringere Wertschätzung als der Beruf einer Reinigungskraft bzw. Kurierfahrerin. Die beiden letztgenannten Tätigkeiten werden aus Sicht der Allgemeinheit auch nicht durch einen gehäuften Kontakt zu anderen Menschen und soziale Interaktion geprägt. Regelmäßig auftretende besondere Herausforderungen, die von der gewohnten Arbeitsroutine abweichen, sind bei lebensnaher Betrachtung für keine der miteinander zu vergleichenden Tätigkeiten kennzeichnend. Ebenso wenig sind nennenswerte Unterschiede in der Gestaltungsfreiheit und dem Ausmaß an Selbständigkeit festzustellen. Zwar dürfte die Tätigkeit als Kurierfahrerin einer Bank eine gewisse Vertrauenswürdigkeit voraussetzen. Allerdings handelt es sich hier nur um eine Nebentätigkeit im Umfang von zwei Wochenstunden (Anlage B 1), so dass die berufliche Veränderung der Klägerin in den Augen der Öffentlichkeit nicht als sozialer Abstieg wahrgenommen wird. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung als Kurierfahrerin besondere Fähigkeiten angeeignet hat, die sie nunmehr nicht mehr nutzen kann.

4. Da die Beklagte bis einschließlich 31.03.2020 alle vertraglich geschuldeten Leistungen erbracht hat und für die Folgezeit keine Leistungen schuldet, bleiben alle Klageanträge erfolglos. Mangels Hauptforderung ist die Beklagte auch nicht zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verpflichtet.

III.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).

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