Leitsätze:
1. Die Beratung bei Vermittlung einer Rürup-Rente ist fehlerhaft und begründet einen Schadensersatzanspruch gem. § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG, wenn keine ausreichende Aufklärung darüber erfolgt, dass vor dem vereinbarten Rentenbeginn keine Möglichkeit besteht, eine vorzeitige Auszahlung des angesparten Kapitals zu erhalten. Der Versicherungsvermittler muss unmissverständlich die zwingenden Nachteile dieser steuerlich geförderten Rentenversicherung vor Augen führen.
2. Diese Pflichtverletzung des Versicherungsvermittlers i.S.d. § 59 VVG wird dem Versicherungsunternehmen gem. § 278 BGB zugerechnet, wodurch sich dessen Haftung aus § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG ergibt.
3. Das Versicherungsunternehmen muss substantiiert darlegen, welche Informationen bei der Vertragsanbahnung erteilt wurden. Enthält die Beratungsdokumentation keine Hinweise über diese Nachteile (fehlende jederzeitige Verfügbarkeit dieses Kapitals), ist davon auszugehen, dass es an einer solchen Beratung gefehlt hat. Da es sich um ein kompliziertes und wirtschaftlich bedeutendes Produkt handelt, ist eine die Dokumentation des Wortes „Rürup“ allein nicht ausreichend. Der Hinweis auf die Aufklärung bzgl. der nicht gegebenen vorzeitigen Auszahlungsmöglichkeit muss dokumentiert sein. Fehlt es hieran, besteht eine Vermutung dafür, dass der Vermittler eine nicht dokumentierte Beratung nicht vorgenommen hat; das Versicherungsunternehmen ist dann für den Hinweis auf den Ausschluss einer vorzeitigen Rückzahlung des Kapitals beweisbelastet.
4. Die Empfehlung einer Rürup-Rente ist bei einer 49-jährigen Klägerin, welche bei Abschluss der Rürup-Rente eine Praxis in Selbständigkeit übernehmen wollte und sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, wegen der fehlenden Flexibilität kein geeignetes Produkt.
1. Der Beklagte wird unter Rückabwicklung des für die Klägerin bestehenden Versicherungsvertrages, u… Aufbaurente …, Versicherungsnummer …, verurteilt, an die Klägerin 15.368,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.05.2022 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.368,16 € festgesetzt.
Tatbestand
Mit Antrag vom 02.12.2015 beantragte die Klägerin (damals noch unter ihrem Familiennamen W1.) über den abschlussberatenden und -vermittelnden Zeugen M… A… den Abschluss eines steuerlich geförderten Basisrenten-Versicherungsvertrags in Form einer fondsgebundenen Rentenversicherung nach Tarif 7350 bei dem Beklagten (u… Aufbaurente ….). Vetrsicherungsbeginn sollte rückwirkend bereits am 01.12.2015 sein, ferner war eine dynamische Erhöhung von Leistung und Beitrag um jährlich 5 % vereinbart.
Der Antrag, Anlage B 1, wurde der Klägerin vollständig zum Verbleib ausgehändigt.
Die Beratungsdokumentation, Anlage B 2, wurde von der Klägerin und vom Zeugen A… unterzeichnet.
Der Beklagte policierte den Versicherungsvertrag, fertigte den Versicherungsschein vom 07.12.2015, Anlage B 3, aus und übersandte ihn an die Klägerin.
Die Klägerin zahlte den Einlösungsbeitrag und auch die dynamisch erhöhten Folgebeiträge zunächst bis Februar 2020 fristgerecht ein. Die Klägerin bat zunächst um Beitragsfreistellung für den Zeitraum vom 01.03.2020 bis 31.05.2020. Mit Schreiben vom 23.04.2020 bestätigte der Beklagte gegenüber der Klägerin die gewünschte Beitragsfreistellung für die Monate März bis einschließlich Mai 2020. Nachdem die Klägerin die Wiederinkraftsetzung wünschte, führte der Beklagte den Vertrag zum 01.06.2020 wieder beitragspflichtig fort.
Die Klägerin zahlte auf die streitgegenständliche Versicherung insgesamt Beiträge in Höhe von 15.368,16 €.
Zum 01.06.2022 war ein Fondsguthaben in Höhe von € 13.681,52 im Vertrag vorhanden.
Mit Schreiben vom 24.10.2020 erklärte die Klägerin die Kündigung des streitgegenständlichen Versicherungsvertrags zum 31.12.2020. Mit Schreiben vom 20.11.2020 bestätigte der Beklagte, dass der streitgegenständliche Versicherungsvertrag zum 01.01.2021 beitragsfrei gestellt werde.
Mit Schreiben vom 31.05.2021 forderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Beklagten zur Rückabwicklung auf. Der Beklagte wies dieses Verlangen zurück.
Die Klägerin behauptet, dass es der Wunsch der Klägerin gewesen sei, eine private Rentenversicherung abzuschließen, bei der sie bei Bedarf jederzeit an das angesparte Kapital kommen könne. Dies sei ihr gerade wegen ihrer erst begonnenen Selbständigkeit wichtig gewesen, weshalb sie im Rahmen des Beratungsgespräches ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass sie eine Versicherung auf Aktienfond-Basis wolle, bei der sie jederzeit eine Auszahlung verlangen könne. Insbesondere sei dem Berater durch die Klägerin klar gemacht worden, dass sie jederzeit Zugriff auf die Anlage haben wolle. Ihr sei nicht mitgeteilt worden, dass sie während der Laufzeit keine Auszahlung beantragen könne. Bei der Beratung sei nicht über eine Rürup-Rente gesprochen worden.
Die Klägerin habe als Bedingung für die gewählte Anlageform die Gegenprüfung durch den Steuerberater B… gemacht.
Die Klägerin behauptet weiter, dass sie von der angefertigten Beratungsdokumentation keine Ausfertigung bekommen habe. Diese sei ihr erst nach Aufforderung durch ihren Prozessbevollmächtigen mit Schreiben vom 31.08.21 übersandt worden.
Es sei darin nachträglich, abweichend zur durchgeführten Beratung, ergänzt worden, dass über eine Rürup-Rente beraten worden sei. Zudem sei unrichtigerweise durch den Berater dokumentiert worden, dass der Steuerberater der Klägerin, der Zeuge M… B…, seine Zustimmung zum Abschluss einer Rürup-Rente für die Klägerin abgegeben habe. Dieser habe, wie er ihr erklärt habe, keine solche Zustimmung zu einem Abschluss einer Rürup-Rente für die Klägerin an Herrn A… gegeben und hätte diese, wie er angegeben habe, wegen der fehlenden Möglichkeit zur Beleihung nicht erteilt, da er eine solche Anlage für Selbständige nicht empfehlen würde.
Die Klägerin habe erst durch die Nachfrage bei der Beklagten anlässlich einer Beleihung im Mai 2021 erfahren, dass es sich um eine Rürup-Rente gehandelt habe. Sie habe dies in den ihr zugesandten Unterlagen nicht erkennen können. Sie sei von einer Lebensversicherung ausgegangen. Erst als sie diese habe beleihen wollen, sei ihr durch der Beklagte mitgeteilt worden, dass dies bei einer Rürup-Rente nicht möglich sei.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beiträge ohne Rechtsgrund bezahlt zu haben. Sie stützt den Anspruch auf § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG wegen Verletzung der Beratungspflicht.
Bei der Vermittlung einer Rürup-Rente müsse nach dem Dafürhalten der Klägerin der Versicherungsvertreter den Versicherungsnehmer darüber aufklären, dass bei einem solchen Vertrag eine vorzeitige Auszahlung aus dem angesammelten Kapital nicht möglich sei.
Die Beweislast für die Einhaltung der Dokumentationspflichten obliege dem Vermittler. Die Beweislast für einen Erhalt der Dokumentation vor Abschluss des Vertrages liege beim Beklagten.
Eine Rürup-Rente habe auch nicht den Bedürfnissen der Klägerin entsprochen. Die Klägerin habe eine gewisse Flexibilität benötigt, so dass eine Rürup-Rente für sie ungeeignet gewesen sei. Die wirtschaftliche Situation der Klägerin, die sich erst selbständig gemacht hatte, sei mit so vielen offenen Fragen behaftet gewesen, dass eine private Rentenversicherung mit einer Festlegung auf 18 Jahre und ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Rückzahlung nicht zweckmäßig gewesen sei. Das Insolvenzverfahren habe damit gegen den Abschluss gesprochen.
Ein Abzug wegen des vom Beklagten gewährten Versicherungsschutzes oder sonstigen Kosten sei nicht vorzunehmen. Auf Entreicherung könne sich der Beklagte insoweit nicht berufen.
Dass es sich um einen Rürup-Vertrag gehandelt habe, ergebe sich weder aus dem Versicherungsschein noch aus den weiteren Schreiben des Beklagten hinsichtlich der Beitragserhöhung.
Die Forderung sei nicht verjährt, nachdem die Klägerin erst 2021 Kenntnis davon erhalten habe, dass sie eine Rürup-Rente abgeschlossen habe, bei der vor Ablauf der Vertragslaufzeit keine Auszahlung des angesparten Kapitals möglich sei. Damit habe die Verjährungsfrist erst 2021 zu laufen begonnen.
Die Klägerin beantragte zunächst:
Der Beklagte wird verurteilt, die unter der Versicherungsnummer … laufende u… Aufbaurente … (Rürup-Rente) rückabzuwickeln und die eingezahlten Beträge an die Klägerin zu zahlen.
Mit Schriftsatz vom 12.05.2022 beantragte die Klägerin:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.368,16 € nebst Verzugszinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Der Schriftsatz wurde der Beklagten am 16.05.2022 zugestellt.
Im Termin vom 14.07.2022 beantragte die Klägervertreterin zuletzt:
Der Beklagte wird verurteilt, die unter der Versicherungsnummer … laufende u… Aufbaurente … (Rürup-Rente) rückabzuwickeln und an die Klägerin 15.368,16 € nebst Verzugszinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte behauptet, dass der Zeuge A… der Klägerin nach Beratung den Abschluss einer sogenannten „Rürup-Rente“ entsprechend dem streitgegenständlichen Versicherungsprodukt empfohlen habe. Es sei über den Abschluss und die Inhalte einer sogenannten „Rürup-Rente“ gesprochen worden.
Der Zeuge A… habe die wesentlichen Merkmale und Inhalte des gegenständlichen Vertrages mit der Klägerin besprochen, insbesondere habe der Zeuge A… die Klägerin im Zuge der Erläuterung des Versicherungsprodukts und des Tarifs darauf hingewiesen, dass der von der Klägerin gewünschte „Rürup-Vertrag“ eine monatliche Rentenzahlung für die Altersversorgung beinhalte, nicht jedoch die Möglichkeiten einer Kapitalabfindung oder einer vorzeitigen Auszahlung.
Dies sei auch aus den vor Antragstellung an die Klägerin ausgehändigten Vertrags- und Verbraucherinformation klar ersichtlich.
Der Zeuge A… habe der Klägerin klar und unmissverständlich erläutert, dass keine Kapitalzahlung im „Rürup-Vertrag“ möglich sei.
Die Klägerin habe Sorge gehabt, dass sie im Alter überhaupt keine oder nur eine viel zu geringe Rente haben werde. Ausschließlich zum Zwecke der Altersversorgung, nicht jedoch um eine Kapitalansammlung, eine Kapitalabfindung oder eine vorzeitige Rückkaufsmöglichkeit zu erhalten, habe die Klägerin den gegenständlichen Vertragsschluss gewünscht.
Die Klägerin habe nicht deutlich gemacht und nicht gegenüber dem Zeugen A… geäußert, dass sie jederzeit Zugriff auf die Anlage haben wolle.
Die Klägerin habe den Erhalt der Beratungsdokumentation ebenfalls durch ihre eigene Unterschrift ausdrücklich bestätigt.
Es habe im Dezember 2015 eine Befürwortung und Empfehlung des Steuerberaters der Klägerin für den Abschluss des gegenständlichen Versicherungsvertrags zur Altersversorgung der Klägerin vorgelegen.
Aufgrund negativer Bonität der Klägerin als Folge des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin sei der Versicherungsantrag seitens des Beklagten zunächst abgelehnt worden. Auf ausdrücklichen Wunsch und dringende Bitte der Klägerin habe sich der Zeuge A… sodann zeitnah an den Beklagten gewandt, um doch noch einen Vertragsabschluss zu ermöglichen, welchen die Klägerin ausdrücklich und unbedingt gewünscht habe. Nach nochmaliger Prüfung des Versicherungsantrags sei dieser dann doch angenommen worden.
In rechtlicher Hinsicht ist der Beklagte der Auffassung, dass der Versicherungsvertrag wirksam geschlossen sei, insbesondere ohne jedes Beratungsverschulden, ohne jede Fehl- oder Falschinformation der Klägerin über wesentliche Vertragsinhalte und ohne eine angebliche Manipulation oder „Verfälschung“ des gegenständlichen Versicherungsantrags.
Der Beklagte geht davon aus, dass die Klägerin bei Vertragsabschluss im Jahr 2015 ordnungsgemäß beraten worden sei. Der Beklagte beruft sich darauf, dass die Klägerin unterschriftlich bestätigt habe, die vollständigen Versicherungsbedingungen und übrige Verbraucherinformationen ausgehändigt erhalten zu haben.
Im Versicherungsschein gemäß Anlage B3 werde auf die konkret bezeichneten und tabellarisch aufgelisteten „Vertragsgrundlagen“, insbesondere auf die Versicherungs- und Tarifbedingungen für die als „Basisversorgung“ bzw. „AufbauRENTE …“ bezeichnete gegenständliche fondsgebundene Rentenversicherung, Bezug genommen, worin für jeden durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer eindeutig erkennbar geregelt sei, dass eine vorzeitige Rückkaufsmöglichkeit durch Vertragskündigung ausgeschlossen sei und dass der Vertrag auch nicht „beliehen“ werden könne oder dergleichen. Jedenfalls und spätestens mit Erhalt des Versicherungsscheins im Dezember 2015 habe die Klägerin all dies erkannt und gewusst oder jedenfalls ohne grobe Fahrlässigkeit erkennen können und müssen.
Der Beklagte verweist auch auf das „Produktinformationsblatt“ gemäß Anlage B 17, Ziffer „10. Vertragsbeendigung“, wo u.a. ausgeführt wird, dass der streitgegenständliche Versicherungsvertrag jederzeit zum Ablauf der laufenden Versicherungsperiode ganz oder teilweise gekündigt werden könne, dass sich die Versicherung in diesem Falle ganz oder teilweise in eine beitragsfreie Versicherung umwandele und dass kein Anspruch auf einen Rückkaufswert bestehe.
Der Versicherungsnehmer sei verpflichtet, ihm überlassene Vertragsinformationen und Vertragsdokumente sorgfältig und mit der notwendigen Aufmerksamkeit verständig zu lesen und zu würdigen. Bereits hiernach hätte der Klägerin, so der Beklagte, daher jedenfalls auffallen müssen, dass der streitgegenständliche Versicherungsvertrag nicht gegen Auszahlung eines Rückkaufswertes aufgelöst werden könne. Ebenso habe die Klägerin auch ihr 30-tägiges Widerrufsrecht nicht ausgeübt, und zwar weil der Vertragsschluss entgegen dem jetzigen Vorbringen der Klägerin sehr wohl ihrem Wunsch und Willen und konkreten Versicherungsbedarf entsprochen habe.
Der Zeuge A… habe ferner vor Antragstellung und im Zuge der Antragsberatung zusammen mit der Klägerin die als Anlage B 2 vorgelegte Beratungsdokumentation inhaltlich zutreffend ausgefüllt.
Die Zustimmung eines Steuerberaters für den Abschluss des gegenständlichen Vertrages sei nicht Wirksamkeitsvoraussetzung gewesen.
Es müsse jedenfalls der erhebliche Wert des von der Klägerin genossenen Risikoversicherungsschutzes angerechnet werden, weshalb keinesfalls die Beiträge in voller Höhe zurückverlangt werden könnten. Bei der etwaigen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Versicherungsverträgen sei, so der Beklagte, in jedem Fall der erlangte Versicherungsschutz zu berücksichtigen. In Höhe des Wertes des von der Klägerin genossenen Risikoversicherungsschutzes erklärt der Beklagte vorsorglich eine entsprechende Aufrechnung.
Der Beklagte erhebt die Einrede der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB hinsichtlich der zum streitgegenständlichen fondsgebundenen Vertrag gezahlten Spar- und Kostenbeiträge (Abschluss- und Verwaltungskosten). Die gezahlten Kostenbeitragsteile seien bei dem Beklagten nicht mehr vorhanden, sondern seien zur Deckung der Abschluss- und Verwaltungskosten ausgegeben und verbraucht worden.
Die Klägerin müsse sich den Wert des vorhandenen Fondsvermögens zumindest als Vorteilsausgleich anrechnen lassen.
Der Beklagte erhebt ferner die Einrede der Verjährung.
Zum weiteren Parteivortrag wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Einvernahme der Zeugen M1. A1., A… H… und M… B…. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 12.01.2023, Bl. 56 ff d.A., Bezug genommen.
Das Gericht hat die Klägerin zudem informatorisch gehört. Auf das Protokoll der Sitzung vom 14.07.2022, Bl. 46 ff d.A., wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 15.368,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.05.2022.
A.
Der Beklagte ist der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet, da die Beratung der Klägerin durch den Zeugen A… bei der Vermittlung der Rürup-Rente (u… Aufbaurente …) im Jahr 2015 fehlerhaft war. Der Beklagte ist der Klägerin daher zum Schadensersatz i.H. der gezahlten Beiträge von 15.368,16 € gem. § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG verpflichtet.
Der Zeuge A… war im Jahr 2015 als Versicherungsvermittler i.S.d. § 59 VVG für den Beklagten tätig. Die hier streitgegenständliche Rürup-Rente kam über den Zeugen A… zustande. Diesen trafen gegenüber der Klägerin die Beratungspflichten gem. § 61 Abs. 1 VVG. Der Beklagte haftet als Versicherer für Pflichtverletzungen des von ihr eingesetzten Versicherungsvermittlers gem. § 278 BGB (vgl. Prölss/Martin-Rudy, VVG, 31. Aufl., 2021, § 6 Rn. 58). Die Beratungspflichten des Beklagten gem. § 6 Abs. 1 VVG entsprechen den Pflichten des Versicherungsvertreters gem. § 61 Abs. 1 VVG.
Der Zeuge A… hat die Klägerin nach dem gegebenen Sachstand im Hinblick auf die abgeschlossene Rürup-Rente nicht ausreichend i.S.d. § 61 Abs. 1 VVG beraten. Es mangelt an einer ausreichenden Aufklärung der Klägerin, dass vor dem vereinbarten Rentenbeginn keine Möglichkeit besteht, eine vorzeitige Auszahlung des angesparten Kapitals zu erhalten. Auch war, ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommen würde, die Empfehlung der Rürup-Rente fehlerhaft.
Die Pflichtverletzung des Vertreters A… wird dem Beklagten nach § 278 BGB als eigene zugerechnet (dazu Langheid/Wandt-Reiff, in: Münchener Kommentar zum VVG, 3. Auflage 2022, § 63 Rn. 34). Aus der Pflichtverletzung des Zeugen A… ergibt sich daher unmittelbar die Haftung des Beklagten gem. § 6 Abs. 1, Abs. 5 VVG.
I. Nach § 61 Abs. 1 S. 1 VVG muss der Versicherungsmakler den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat angeben. Nach § 61 Abs. 1 S. 2 VVG hat er dies zu dokumentieren.
1. Der Beratungsaufwand hängt im Wesentlichen von dem Schwierigkeitsgrad, also der Vielschichtigkeit und Verständlichkeit des angebotenen Versicherungsproduktes, ab (Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., 2021, § 61 Rdn. 18; Schwintowski in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 61 Rdn. 36). Die Beratung und die Begründung muss versicherungsnehmer- und marktbezogen sein (Reiff in: MünchKomm-VVG, § 61 Rn. 20, 24).
2. Für die Beratung gilt Folgendes:
a) – Beratungserfordernis bei der Rürup-Rente -:
Bei der Vermittlung einer Rürup-Rente – wie vorliegend – muss der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer darüber aufklären, dass bei einem solchen Vertrag – anders als bei den meisten anderen privaten Rentenversicherungsverträgen – eine vorzeitige Auszahlung aus dem angesammelten Kapital nicht möglich ist (zum Ganzen: OLG Karlsruhe, Urteil vom 07.12.2021, 9 U 97/19, NJW 2022, 1023). Ein Hinweis in der Beratung, dass beim Vertrag über eine Rürup-Rente vor dem vereinbarten Rentenbeginn keine Möglichkeit besteht, eine vorzeitige Auszahlung des angesparten Kapitals zu erhalten, ist wesentlich und erforderlich. Es handelt sich dabei um eine grundlegende Information, über welche der Versicherer bzw. der Versicherungsvertreter den Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags aufklären muss. Es geht um eine Besonderheit der gesetzlichen Regelungen für die Rürup-Rente, die mit bestimmten Steuervorteilen zusammenhängt. Die Rürup-Rente unterscheidet sich in diesem Punkt von den meisten privaten Rentenverträgen, bei denen in der Regel vorzeitige Auszahlungen möglich sind. Wer sich für eine Rürup-Rente entschließt, hat für die Zukunft hingegen keine Flexibilität hinsichtlich des eingezahlten Kapitals, welches bis zum Rentenbeginn gebunden bleibt (vgl. zu Beratungsfehlern bei Vermittlung einer Rürup-Rente OLG Saarbrücken, VersR 2015, 1248; OLG Brandenburg, Urteil vom 18.09.2018, 3 U 88/17, BeckRS 2018, 33158; vgl. zur Besonderheit des Ausschlusses einer vorzeitigen Vertragsbeendigung bei der Rürup-Rente auch BGH, VersR 2016, 241).
Damit muss der Versicherungsvermittler unmissverständlich die zwingenden Nachteile dieser steuerlich geförderten Rentenversicherung vor Augen führen. Die steuerliche Förderung ist nur um den Preis zu erreichen, dass der Versicherungsnehmer zu keinem Zeitpunkt ein Kapitalwahlrecht hat und über das von ihm „angesparte“ Kapital nicht verfügen kann. Über diese entscheidende Frage muss – neben dem deutlichen Hinweis, dass nach einem Tod des Versicherungsnehmers lediglich der Ehegatte und Kinder, für die ein Anspruch auf Kindergeld besteht, entsprechend § 10 Abs. 1 Ziff. 2 b EStG eine Hinterbliebenenrente erhalten können, was vorliegend aber nicht streitgegenständlich war – deutlich aufgeklärt werden. Erst wenn einem Versicherungsnehmer diese Unterschiede klar vor Augen geführt sind und der Versicherungsvermittler den Bedarf des Versicherungsnehmers erfragt hat, kann der Versicherungsnehmer nach Beratung entscheiden, ob ihm die Steuervorteile so wichtig sind, dass er auf das Recht verzichten will, jederzeit nach Kündigung der Rentenversicherung über das bedingungsgemäß angesparte Kapital zu verfügen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.02.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787).
b) – Darlegungs- und Beweislast -:
Die Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung durch Makler oder Vertreter trifft nach allgemeinen Grundsätzen den Versicherungsnehmer, und zwar unabhängig davon, ob der Makler seine Dokumentationspflicht aus § 61 Abs. 1 S. 2 VVG erfüllt hat oder nicht. Der beratungspflichtige Vermittler hat die behauptete Fehlberatung substanziiert zu bestreiten und zunächst darzulegen, in welcher Weise er im Einzelnen seinen Beratungs- und Informationspflichten nachgekommen ist (sekundäre Darlegungslast). Dem Versicherungsnehmer obliegt dann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft. Der Vermittler wird sich in der Regel seiner Darlegungslast durch Aushändigung der Beratungsdokumentation (vgl. §§ 61 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 1 VVG) entledigt haben (zum Ganzen: BGH, Urt. v. 24.01.2006, XI ZR 320/04, VersR 2006, 979 zur Anlageberatung; Prölss/Martin-Dörner, 31. Aufl., 2021, VVG § 63 Rn. 12; Reiff in: MünchKomm-VVG, § 63 Rn. 47).
2. Bezüglich der Dokumentation gelten folgende Grundsätze:
a) – Umfang der erforderlichen Dokumentation -:
Nach § 61 Abs. 1 S. 2 VVG ist der Vermittler verpflichtet, Bedarfserhebung, Produktberatung und Empfehlung zu dokumentieren. Auch der Umfang dieser Dokumentation ist abhängig von der Komplexität des empfohlenen Produkts, da es in § 61 Abs. 1 S. 2 VVG heißt, dass der Vermittler die Dokumentationspflicht „unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags“ erfüllen müsse (Prölss/Martin-Dörner, VVG, 31. Auflage, 2021, § 61 Rn. 30). Der Vermittler muss also die erfragten oder sonst bekannten Wünsche und Bedürfnisse des Kunden, seinen Rat sowie die Gründe für seinen Rat dokumentieren. Die Dokumentation muss umso ausführlicher ausfallen, je komplizierter und wirtschaftlich bedeutender die empfohlene Versicherung ist. Das Empfehlen eines Altersvorsorgeprodukts oder einer privaten Krankenversicherung ist daher umfänglicher zu dokumentieren als z.B. der Abschluss einer jährlich kündbaren Hausratversicherung. Wesentlich bestimmt wird der Umfang der Dokumentation durch den Sinn der Dokumentationspflicht. Er besteht darin, dass man aus der Dokumentation mindestens in Ansätzen den wesentlichen Inhalt des Gesprächs und der Beratung nachvollziehen kann. Dies verlangt keine detaillierte Darstellung eines Gesprächsablaufs. Vielmehr genügt eine kurze, stichwortartige Umschreibung des Absicherungsinteresses, der hierfür wesentlichen Umstände und Verhältnisse sowie der Vorschläge des Vermittlers. Demgegenüber genügt ein schematisches Ankreuzen ohne Erläuterung, ob bestimmte Punkte ausführlich oder kurz besprochen wurden, und ohne Angaben, welche Motive der Beratung zugrunde lagen und welche wesentlichen Gründe die erteilte Empfehlung bestimmten, nicht den Anforderungen des § 61 Abs. 1 VVG. Mit einer solchen unzulänglichen Dokumentation kann der Vermittler nicht belegen, dass seine Beratung korrekt war (zum Ganzen: Langheid/Wandt-Reiff, in: Münchener Kommentar zum VVG, 3. Auflage, 2022, § 61 Rn. 26).
b) Liegt keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation im Sinne von § 61 Abs. 1 S. 2 VVG vor, muss der Versicherungsvermittler bei einer Schadensersatzklage des Versicherungsnehmers den Inhalt der von ihm behaupteten Beratung beweisen. Legt der Versicherungsvermittler im Rechtsstreit eine schriftliche Beratungsdokumentation vor, muss er im Streitfall nachweisen, dass der Versicherungsnehmer diese Dokumentation vor Abschluss des Vertrags erhalten hat (§ 62 Abs. 1 VVG).
c) Eine fehlende, lückenhafte oder unzutreffende Dokumentation kann Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Versicherungsnehmers nach sich ziehen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.02.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787, unter Rekurs auf Rixecker in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl., § 18 a Rdn. 47; Reiff in: MünchKomm-VVG, § 63 Rn. 49; Schwintowski in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 63 Rn. 24; Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 63 Rn. 12; BGH, Beschl. v. 01.07.2010, IX ZR 118/09; BGH, Urt. v. 16.07.2009, III ZR 21/09, VersR 2009, 1495, allgemein zur Beweislast bei Verletzung einer Dokumentationspflicht; Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 16/1935 S. 26 linke Spalte oben). Insbesondere besteht dann die Vermutung, dass der Vermittler eine nicht dokumentierte Bedarfsermittlung oder Beratung nicht vorgenommen bzw. eine nicht dokumentierte Empfehlung nicht abgegeben hat. Dieser muss daher dann seinerseits nachweisen, dass eine Beratung mit dem von ihm behaupteten Inhalt erfolgt ist. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherungsnehmer dem Antrag bestätigt hat, sämtliche Informationen zum Versicherungsprodukt sowie ein den Beratungsverlauf zutreffend wiedergebendes Beratungsprotokoll erhalten zu haben, weil mit dieser Privaturkunde nach § 416 ZPO nur die Urheberschaft des Ausstellers, nicht jedoch die Richtigkeit des Urkundeninhalts bewiesen werden kann (zum Ganzen: Prölss/Martin-Dörner, 31. Aufl. 2021, VVG § 63 Rn. 12). Andernfalls würde die Dokumentationspflicht nach § 61 Abs. 1 S. 2 VVG ihren Zweck einer Beweissicherung nicht erfüllen können, was aus dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Dokumentationspflicht folgt. Die Beratung bei der Vermittlung eines Versicherungsvertrags ist davon geprägt, dass später nicht selten Probleme entstehen können, wenn der genaue Ablauf der Beratung geklärt werden muss. Die Dokumentationspflicht gibt einerseits dem Versicherungsvermittler (und dem Versicherer) die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer bei einem späteren Streit über den Ablauf der Beratung den Beweis führen muss, dass die Angaben in der Beratungsdokumentation unzutreffend sind. Andererseits soll eine korrekte Beratungsdokumentation dem Versicherungsnehmer später ermöglichen, aufgrund einer korrekten Dokumentation Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wenn die Beratung in wesentlichen Punkten fehlerhaft war. Aus diesen Gesichtspunkten folgt eine Umkehr der Beweislast, wenn eine den Anforderungen des Gesetzes entsprechende Dokumentation fehlt bzw. wenn der Versicherungsvertreter die Einhaltung der Dokumentationspflicht nicht nachweisen kann (vgl. zur Umkehr der Beweislast bei fehlender oder unzureichender Beratungsdokumentation BGHZ 203, 174; OLG München, VersR 2012, 1299; OLG Hamm, VersR 2016, 394.) Diese Grundsätze gelten nicht nur dann, wenn überhaupt keine Beratungsdokumentation vorgelegt wird, sondern auch dann, wenn die vorgelegte Dokumentation die behauptete Beratung nicht ausweist. Dann muss der Makler nachweisen, dass er entgegen der schriftlichen Dokumentation trotzdem mündlich beraten hat, wie er behauptet (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.02.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787, und Urt. v. 27.01.2010, 5 U 337/09, VersR 2010, 1181).
d) Macht ein Versicherungsnehmer – wie vorliegend – Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Beratung über die Nachteile eines Basisrentenversicherungsvertrages (fehlende jederzeitige Verfügbarkeit des Kapitals) geltend, muss beklagtenseits substantiiert dargelegt werden, welche Informationen bei Vertragsanbahnung erteilt wurden. Enthält die Beratungsdokumentation keine Hinweise über diese Nachteile, ist davon auszugehen, dass es an einer solchen Beratung gefehlt hat (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.2.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787). Wenn ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht (wenigstens ansatzweise) dokumentiert worden ist, so muss grundsätzlich der Versicherer beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist, die dokumentationspflichtige Beratung tatsächlich anders oder umfangreicher stattgefunden hat, als dokumentiert (vgl. Prölss/Martin-Rudy, VVG, 31. Auflage, 2021, § 6 Rn. 34 unter Rekurs auf BGHZ 203, 174 m.w.N.).
3. Letztlich muss auch ein geeignetes Produkt empfohlen werden. Die Empfehlung einer Rürup-Rente ist wegen der fehlenden Flexibilität unter Umständen kein geeignetes Produkt, wenn die wirtschaftliche Situation des Versicherungsnehmers am Beginn einer Selbstständigkeit mit vielen Unsicherheiten und offenen Fragen behaftet ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 07.12.2021, 9 U 97/19, NJW 2022, 1023, bei einem 41-Jährigen Versicherungsnehmer).
II. Die informatorische Anhörung und Beweisaufnahme haben Folgendes ergeben:
a) – informatorische Anhörung der Klägerin –
Die Klägerin erklärte in ihrer informatorischen Anhörung im Termin vom 14.07.2022 u.a. Folgendes (auf das Protokoll vom 14.07.2022, Bl. 47 ff d.A., wird Bezug genommen):
Sie habe zu Herrn A… gesagt, dass sie etwas abschließen wolle, auf was sie immer zugreifen könne, dass also eine Auszahlung möglich sein solle. Sie habe zu ihm gesagt, dass sie die gleiche Versicherung wolle, die ihr Mann damals gehabt habe. Sie habe zu ihm gesagt, dass sie etwas für das Alter tun wolle, dass sie etwas ansparen wolle, so wie ihr Mann es habe, dass sie dann, wenn etwas sein solle, auch an das Geld herankomme. Sie habe auch gesagt, dass sie gerne hätte, dass das Ganze von ihrem Steuerberater, dem Herrn B…, geprüft werde.
Ihr Mann habe Aktien gehabt, die man beim Herrn A… anlegen könne. Da könne man jederzeit an das Geld ran. Das habe sie auch gewollt.
Sie habe den Versicherungsantrag unterschrieben, aber die Unterlage dazu nicht mehr durchgelesen. Es habe auch in der Überschrift nicht draufgestanden „Rürup-Rente“. Für sie sei es nicht ersichtlich gewesen, dass es eine Rürup-Rente sei; es habe da irgendwas mit Aufbau-Rente oder so ähnlich gestanden. Ihr sei es wichtig gewesen, jederzeit an das Geld zu kommen und das habe sie dem Herrn A… auch gesagt.
Sie habe dann einen Teil ausbezahlt haben wollen und habe dann erst erfahren, dass sie eine Rürup-Rente abgeschlossen habe.
Damals habe sie kein Beratungsprotokoll bekommen. Sie habe es erst über ihren vorherigen Rechtsanwalt von der Beklagten bekommen. Unterschrieben habe sie das Beratungsprotokoll am Tag des Gespräches.
Nachdem sie von der Rürup-Rente erfahren habe, habe sie den Herrn B… gefragt, der gesagt habe, dass der Herr A… sicher nicht bei ihm gewesen sei, aber sich er jetzt nicht genau erinnern könne, ob er da nachgefragt habe.
b) – Zeuge A… -ؘ
Der Zeuge M… A… teilte im Termin vom 12.01.2023 u.a. Folgendes mit (auf das Protokoll der Sitzung vom 12.01.2023, Bl. 56 ff d.A., wird Bezug genommen):
Er habe die Klägerin und ihren Mann schon seit einigen Jahren gekannt. Die Klägerin habe die Praxis wohl sehr teuer angeschafft; es seien dann viele Forderungen auf die Klägerin zugekommen, so dass sie sich durch die Herren B… und W… Hilfe geholt habe. Sie habe dann auch zu ihm gesagt, dass nichts abgeschlossen würde, wenn nicht die Herren B… und W… insofern die Zustimmung gäben. Sie habe also Geschäfte nur abschließen wollen, wenn diese zustimmen würden. Ohne deren Einwilligung solle nichts gehen.
Die Klägerin habe zu ihm gesagt, dass ihr wichtig sei, dass sie eine Rente habe; sie habe nämlich Angst, dann in der Rente nur wenig oder nichts zur Verfügung zu haben. Zu dem Zeitpunkt sei bereits eine begleitende Insolvenz gelaufen und sie habe Angst gehabt, dass ihr dann eine etwaige Anlage wieder genommen werden könne. Ihr sei es deshalb wichtig gewesen, dass der Vertrag bzw. die daraus resultierende Forderung insolvenzgeschützt sei. Darum sei es ihr gegangen. Ihr sei es wichtig gewesen, dass es also nicht in die Insolvenz fallen würde.
Die Klägerin habe nicht gewollt, dass ihr das Geld später wegen der Insolvenz weggenommen werden könne. Daher sei nur das von ihm empfohlene Produkt auch das passende Produkt gewesen. Sie habe eine monatlich sichere Rente gewollt und ihre spätere Altersvorsorge habe gesichert sein sollen. Daher habe er dieses Produkt empfohlen.
Er habe dann die entsprechenden Vertragsentwürfe an die Herren B… und W… gegeben. Der Vertrag sei dann im Dezember 2015 geschlossen worden.
Zu einem späteren Zeitpunkt sei die Klägerin auf ihn zu gekommen und habe gemeint, dass sie aus diesem Vertrag, um den es hier gehe, Geld brauche. Er habe dann gesagt, dass das ein Vertrag mit einer lebenslangen Rente sei und keine Kapitalabfindung beinhalte. Daraufhin sei dann der Streit losgegangen. Die Klägerin habe dann gesagt, dass sie das nicht gewusst hätte.
Seines Erachtens sei es so gewesen, dass sich zu dem Zeitpunkt dann die Lebenssituation geändert gehabt habe. Nach seiner Auffassung sei der Vertrag zum damaligen Zeitpunkt 2015 passend gewesen, weil ihr damals diese lebenslange Rente wichtig gewesen sei.
Die Herren B…/W… hätten ihre Zustimmung erteilt.
Auf Nachfrage, ob auch besprochen worden sei, dass die Rente nicht vorzeitig zur Auszahlung kommen könne, bejahrte dies der Zeuge und erklärte, dass dies besprochen worden sei. Auf Nachfrage des Gerichts, was dazu gesagt worden sei, erklärte der Zeuge, dass er gesagt habe, dass es sich um eine lebenslange Rentenzahlung handle. Er habe auch gesagt, dass insofern auch Zuzahlungen möglich seien. Es gehe um eine Rentenleistung fürs Alter. Diese könne auch erhöht werden.
Auf Nachfrage zu den Äußerungen bzgl. des nicht möglichen vorzeitigen Zugriffs teilte der Zeuge mit, dass er gesagt habe, dass es sich um monatliche Rentenzahlungen handle und dass es sich nicht um eine Kapitalleistung handle.
Auf Vorhalt der Angaben der Klägerin, dass sie angegeben haben will, dass es ihr wichtig gewesen sei, dass sie etwas abschließen wolle, wo sie immer darauf zugreifen könne, also eine Auszahlung möglich sein solle, erklärte der Zeuge, dass dies erst zeitlich danach aufgekommen sei. Er habe mit dem Mann der Klägerin zeitlich nach diesem Abschluss, um den es hier gehe, eine Fonds-Police abgeschlossen, nach 2015. Da habe die Klägerin dann gesagt, dass sie so etwas auch haben möchte. Vorher sei davon nicht die Rede gewesen. Aufgrund der Angaben in den Gesprächen 2015, also ihren Vorgaben, sei es nicht möglich, einen solchen Abschluss zu machen, da das Produkt ausgehend von den damaligen Vorgaben, wie er geschildert habe, nicht passend gewesen sei.
Auf Frage der Klägervertreterin zu seinen Angaben gegenüber der Klägerin erklärte der Zeuge weiter, dass er die Klägerin darauf hingewiesen habe, dass es sich um eine lebenslange Rentenzahlung handle und eine Kapitalabfindung nicht möglich sei. Er habe sie darauf hingewiesen, dass sie dann, wenn sich der Laden stabilisiert habe, auch Zuzahlungen leisten könne. Es sei in den Gesprächen mit der Klägerin nicht darum gegangen, dass ihr eine Kapitalabfindung wichtig gewesen wäre oder dass sie eine Teilauszahlung gewünscht hätte. Diese Problemstellung sei dann erst später aufgekommen, wie er schon geschildert habe, als sich die Lebenssituation geändert hatte. Er denke, dass das erst nach 2015 gewesen sei, als dann der Herr H… einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen habe.
Auf Nachfrage des Beklagtenvertreters, was er zum Rürup-Produkt erkläre, gab der Zeuge A… an, dass er den entsprechenden Versicherungsvorschlag dazu erkäre. Er sage, dass es sich um ein steuerlich gefördertes Altersvorsorgeprodukt handle mit festen tariflichen Werten und dass keine Kapitalauszahlung während der Laufzeit möglich sei. Das werde dem Kunden in der Regel so erläutert und sei auch der Klägerin von ihm so erklärt worden. Es sei also auch besprochen worden, dass Teilauszahlungen nicht möglich seien.
Herr W… sei der Unternehmensberater der Klägerin gewesen. Dieser habe sich immer mit dem Herrn B… besprochen. Er habe weit überwiegend mit dem Herrn W…, Kontakt gehabt. Dieser habe sich mit dem Herrn B… besprochen. Der Herr W… habe ihm dann das Ok für diesen Vertrag, um den es hier gehe, gegeben. Er habe den Herren die entsprechenden Unterlagen übermittelt und ihm sei das dann vom Herrn W… mündlich bestätigt worden. Er denke, dass er auch einmal mit Herrn B… gesprochen habe, habe aber mehr über Herrn W… gemacht. W… und B… hätten sich untereinander abgestimmt. Er habe die Angebote und den Antrag an die Herren, nach seiner Erinnerung per E-Mail-Anhang, vor Vertragsschluss übermittelt. Er habe jedenfalls den entsprechenden Versicherungsvorschlag übermittelt und meine auch, dass die Erläuterungen zur U… Aufbau-Rente … dabei gewesen seien.
Die Beratungsdokumentation, Anlage B 2, habe er am 02.12.2015 ausgefüllt. Es sei seine Handschrift. Die Klägerin habe es dann unterschrieben und abgestempelt. Er drucke die Angebote und den Antrag im Büro aus. Damit gehe er dann zu den Kunden, spreche das durch und lasse dann den Antrag unterschreiben. Dann fülle er die Beratungsdokumentation aus und lasse diese dann auch unterschreiben. Wo das jetzt genau stattgefunden habe, wisse er nicht mehr genau, gehe aber davon aus, dass es im Laden gewesen sei. Die Beratungsdokumentation habe er in Anwesenheit der Klägerin ausgefüllt und der Klägerin dann übergeben. Die Klägerin habe diese bekommen und habe dafür auch unterschrieben, diese erhalten zu haben. Die Übergabe müsste, so der Zeuge, am 02.12.2015 bei ihr im Laden gewesen sein. Wahrscheinlich sei er nochmal gegangen, habe das dann bei ihm kopiert und es ihr dann gebracht. Das könne auch am nächsten Tag gewesen sein. Er habe ihr die Beratungsdokumentation dann in den Laden gebracht.
Es war so, dass die Klägerin die Rentenzahlung gewünscht habe. Daher habe er „Rürup“ in die Beratungsdokumentation eingetragen. Diese Produktempfehlung hab er aufgrund des Wunsches nach der Rentenzahlung eingetragen. Zu den Wünschen oder Zielen der Klägerin sei nichts eingetragen, weil es im Vorfeld die entsprechenden Gespräche mit der Klägerin und ihrem Mann gegeben habe und alles da besprochen worden sei.
Den Antrag, Anlage B1, habe er mit den computerschriftlich eingetragenen Werten und Zahlen ausgedruckt. Die handschriftlichen Einträge habe er dann vor Ort bei der Klägerin vorgenommen. Dann habe er das Ganze bei ihm im Büro kopiert und der Klägerin dann wieder gebracht.
Es sei nicht richtig, dass die Beratungsdokumentation im Nachhinein abgeändert worden wäre. Er könne insofern auch gar nicht in das System eingreifen.
c) – Zeuge H… –
Der Zeuge A… H…, Ehemann der Klägerin, teilte im Termin vom 12.01.2023 u.a. Folgendes mit (auf das Protokoll der Sitzung vom 12.01.2023, Bl. 56 ff d.A., wird Bezug genommen):
Seine Frau und er hätten Herrn A… im Jahr 2015 schon länger gekannt, wie lange, wisse er nicht.
Er habe über Herrn A… einen Sparer gemacht, wann wisse er nicht mehr, jedenfalls vor 2015. Da habe er jeden Monat 250 € einbezahlt und es sei so gewesen, dass er grundsätzlich jederzeit an das Geld herangekommen sei. Er habe bis auf 1.000,00 € Rest, die hätten verbleiben müssen, den Rest jederzeit anfordern können.
Es habe ein Gespräch mit Herrn A… bei ihnen stattgefunden; da seien Herr A…, seine Frau und er dabei gewesen. Seine Frau und er hätten dann gesagt, dass sie genau das gleiche Produkt, das er habe, also diesen Sparer, auch für meine Frau möchten. Dieses Gespräch habe vor Abschluss dieses Vertrages, den seine Frau abgeschlossen habe, stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt habe er seinen Vertrag schon gehabt.
Im Zusammenhang mit dem Herrn B… sei irgendwie mal die Rede von einer Rüruprente gewesen. Ob das gegenüber dem Herrn A… angesprochen worden sei, wisse er nicht. Der Herr B… habe noch zu ihm gesagt, dass sich dies nicht empfehle, und sie hätten dann zu Herrn A… jedenfalls gesagt, dass sie einen Sparvertrag machen möchten, so einen, wie er habe. Sie hätten dann zu Herrn A… bei diesem Gespräch gesagt, dass sie den gleichen Sparer wollen wie den, den er habe, dass sie also jederzeit an das Geld ran können wöllten.
Ihnen sei nicht aufgefallen, dass es dann ein anderer Vertrag gewesen sei. Sie hätten Vertrauen zu Herrn A… gehabt. Bei ihm habe ja auch alles geklappt.
Auf Nachfrage, was Herrn A… zum Produkt der Klägerin erklärt habe, gab der Zeuge H…-… an, dass er das Gleiche wie bei ihm gesagt habe, nämlich dass mindestens 1.000,00 € drin bleiben müssten und dass der Überschuss geholt werden könne, dass man also bis zu einem verbleibenden Betrag von 1.000,00 € alles herausholen könne, und dass man einmal pro Jahr 50.000,00 € einbezahlen könne. So sei das damals auch bei ihm erklärt worden. Er habe noch, so wie bei ihm auch, gesagt, dass man für die Auszahlung ein Formular ausfüllen müsse und man dann zwei/drei Tage später das Geld bekomme. Das habe im übrigen bei ihm auch immer gut geklappt. Dieses Gespräch habe in der Essecke am Tisch stattgefunden; daran könne er sich noch erinnern. Er sei bei diesem Gespräch selber dabei gewesen. Das habe ihm nicht nur seine Frau erzählt. Ob er bei der Unterzeichnung des Antrages dabei gewesen sei, wisse er nicht mehr. Sie hätten beide haben zusammen bei dem Gespräch in der Essecke zu Herrn A… gesagt, dass seine Frau denselben Vertrag, den er habe, auch wünsche. Herr A… habe ein Formular dabei gehabt, bei dem er dann einen Teil handschriftlich ausgefüllt und das Formular dann wieder mitgenommen habe. An dem Tag habe seine Frau dann noch nichts unterschrieben.
Im Gespräch sei von einer Rüruprente keine Rede gewesen. Sie hätten einen Sparer gewollt und das sei klar gesagt worden. Für sie sei klar gewesen, dass der Herr A… das dann so mache.
Es habe mal ein Gespräch mit Herrn B… zu Rürup gegeben. Er wisse jetzt nicht, ob das vor Abschluss dieses Vertrages gewesen sei oder nachher. Es habe mal ein Gespräch mit dem Herrn B… gegeben, in dem es darum gegangen sei, dass eine Absicherung für seine Frau gemacht werden müsse. Das sei aber unabhängig von Herrn A… und nicht im Zusammenhang mit dem Sparer gewesen, den sie gewollt hätten. An weitere Gespräche über Rürup könne er sich nicht erinnern.
Er wisse nicht, ob die Herren B… oder W… bzgl. des Inhalts dieses Vertrages, um den es hier gehe, informiert gewesen und damit einverstanden gewesen seien.
d) – Zeuge B… –
Der Zeuge M… B…, der Steuerberater der Klägerin, teilte im Termin vom 12.01.2023 u.a. Folgendes mit (auf das Protokoll der Sitzung vom 12.01.2023, Bl. 56 ff d.A., wird Bezug genommen):
Er berate die Klägerin als Steuerberater seit 2011. Bzgl. der Sache, um die es hier gehe, habe er keine Erinnerung, dass er insofern Gespräche geführt hätte. Er habe auch geschaut und habe diesbezüglich keinerlei Besprechungsnotizen gefunden. Er habe auch den Outlook-Kalender durchgesehen und keine Termine diesbezüglich gefunden.
Er könne sich erinnern, dass es im Hinblick auf die Klägerin mal eine Anfrage zu einer Lebensversicherung für die Altersvorsorge gegeben habe. Um was es da genau gegangen sei oder wann das gewesen sei, wisse er aber nicht mehr.
Ihm sei auch nicht erinnerlich, dass der Herr A… mit ihm mal Kontakt aufgenommen hätte. Allerdings solle das Ganze ja schon sehr lange her sein und sie seien eine große Kanzlei mit vielen Kontakten und Gesprächen. Eine Erinnerung habe er daran jedenfalls nicht.
Den Herrn W… kenne er. Er habe aber auch keine Erinnerung, daran, dass er mit dem Herrn W… bzgl. der Klägerin und/oder des Herrn A… gesprochen hätte. Er könne sich nicht mehr erinnern, dass in diesem Zusammenhang irgendetwas gewesen wäre oder dass er mit Herrn W… gesprochen hätte. Auch insofern sei in seinen Unterlagen nichts vorhanden, was auf eine entsprechende Korrespondenz mit Herrn W… hindeuten würde.
Eine Zustimmung gebe er schon grundsätzlich nicht, das stehe ihm auch nicht an. Er könne Empfehlungen geben.
Er könne sich aber auch nicht daran erinnern, dass er insofern involviert gewesen wäre. Es sei aber auch so, dass bei solchen Anfragen in der Regel nichts Schriftliches gemacht werde und es nur in einem Telefonat oder bei einem kurzen Gespräch geklärt werde.
Ob ihm da insofern etwas zugegangen sei, wisse er nicht.
Ihm sei nicht in Erinnerung, dass er die Rürup-Problematik in Bezug auf die Klägerin mit dieser oder Herrn A… oder Herrn W… erörtert hätte.
Es kämen zu Rürup immer wieder Anfragen in seine Kanzlei, ein paar Mal im Jahr, daher könne er hier keinen konkreten Bezug herstellen.
Er könne sich auch nicht erinnern, Herrn A… zu kennen. Er könne sich auch nicht an ein Telefongespräch mit Herrn A… erinnern.
Er könne nicht ausschließen, dass er mit Herrn W… auch mal bzgl. Versicherungen der Klägerin gesprochen habe. Es gebe immer wieder Schnittstellen, sodass es durchaus möglich sei, dass insofern Gespräche stattgefunden haben könnten. Konkrete Erinnerungen habe er diesbezüglich aber nicht.
Er wisse von dem Insolvenzverfahren der Klägerin, könne aber nicht sagen, wie die Lage im Hinblick auf das Insolvenzverfahren 2015 gewesen sei. Er könne jetzt hier dazu keine näheren Angaben machen.
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III. Aus der vorgelegten Dokumentation (Anlage B 2) ergibt sich Folgendes:
Auf der ersten Seite ist eingetragen bei „Der/Die Kunde(n)/Interessent(en) wünscht/wünschen eine Beratung wegen eines konkreten Bedarfs (z.B. Haustier/KfZ): Rürup…“
Bei „Produktempfehlung(en) mit Begründung(en):“ steht: „Vertrag mit VN besprochen, Steuerberater hat seine Zustimmung gegeben, Vertrag wurde abgeschlossen“.
IV. Hiervon ausgehend hat sich nicht zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Zeuge A… die Klägerin ausreichend über die Besonderheiten der abgeschlossenen Rürup-Rente aufgeklärt hätte.
Hinsichtlich des Ablaufs der Beratung und der Pflichtverletzungen des Zeugen A… ist vom Sachvortrag der Klägerin auszugehen, da keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation vorliegt. Die vorgelegte Beratungsdokumentation enthält keinen Hinweis auf die o.g. erforderlichen Angaben, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt ein Kapitalwahlrecht hat und über das von ihr „angesparte“ Kapital nicht verfügen kann. Der Nachweis einer Erfüllung der Informations- und Dokumentationspflichten ist durch den Zeugen A… nicht ausreichend geführt.
1. Eine den Anforderungen des Gesetzes entsprechende Beratungsdokumentation lässt sich nicht feststellen. Der Beklagte hat zwar in der Anlage B2 eine „Beratungsdokumentation“ vom 02.12.2015 vorgelegt, die der Zeuge A… bei einem Beratungsgespräch am 02.12.2015 erstellte und die er, wie der Beklagte behauptet, der Klägerin ausgehändigt haben will.
a) Der Inhalt dieser Beratungsdokumentation ist allerdings unzureichend.
Es sind vorliegend weder die Wünsche und Bedürfnisse der Klägerin noch die Gründe für den Rat des Zeugen A… dokumentiert. An keiner Stelle findet sich ein Hinweis auf begleitende Insolvenz, die gewünschte Altersvorsorge oder die Besonderheiten der Rüruprente. Nachdem es sich, wie ausgeführt, um ein kompliziertes und wirtschaftlich bedeutendes Produkt handelte, wäre insofern eine deutlich umfangreichere Dokumentation als das Wort „Rürup“ notwendig gewesen. Aus den Aufzeichnungen des Zeugen A… lässt sich weder der wesentliche Inhalt des Gesprächs noch der Beratung nachvollziehen. Es sind nicht einmal kurze, stichwortartige Umschreibungen des Absicherungsinteresses, der hierfür wesentlichen Umstände und Verhältnisse sowie der Vorschläge des Vermittlers vorhanden. Es fehlt an Ausführungen, was genau in welchem Umfang bzw. welcher Ausführlichkeit besprochen wurde sowie an Angaben, welche Motive der Beratung zugrunde lagen und welche wesentlichen Gründe die erteilte Empfehlung bestimmten.
In der vorgelegten Dokumentation findet sich insbesondere keinerlei Hinweis auf die Aufklärung bzgl. der nicht gegebenen vorzeitigen Auszahlungsmöglichkeit.
Es kann daher dahinstehen, ob die Eintragungen, wie klägerseits vorgetragen, nachträglich ergänzt wurden, da die Dokumentation auch unter Zugrundelegung dieser Einträge bei weitem nicht ausreichend ist.
b) Zudem ist auch nicht nachgewiesen, dass die Klägerin die vorgelegte Beratungsdokumentation erhalten hat. Die Klägerin stellt dies in Abrede. Es ist nicht zu widerlegen, dass die Klägerin – entsprechend ihrem Vortrag – erst sehr viel später über ihren Prozessbevollmächtigten eine Kopie des von der Beklagtenseite als Beratungsdokumentation vorgelegten Dokuments erhalten hat, nämlich als bereits der steitgegenständliche Vorwurf der Falschberatung im Raum stand.
Die beweisbelastete Beklagte konnte den Beweis der rechtzeitigen Übergabe nicht zur Überzeugung des Gerichts führen.
Zwar heißt es in der Beratungsdokumentation, Anlage B2, auf S. 2 im unteren Drittel: „… eine Durchschrift der Beratungskokumentation hat/haben der/die Kunde(n)/Interessent(en) erhalten und deren Inhalt zur Kenntnis genommen. …“. Allerdings hat der Zeuge A… insofern selbst angegeben, dass er diese Beratungsdokumentation von der Klägerin nach der Unterzeichnung mitgenommen und in seinem Büro kopiert hat. Damit steht fest, dass die Klägerin im Moment der Unterzeichnung jedenfalls keine Durchschrift erhalten hat, sie zu diesem Zeitpunkt damit auf jeden Fall etwas Unzutreffendes unterschrieben hat.
Einen Nachweis für eine spätere Übergabe der Beratungsdokumentation hat der Beklagte nicht zur Überzeugung des Gerichts geführt. Zwar hat der Zeuge A… angegeben, dass er die Beratungsdokumentation an die Klägerin übergeben habe. Dessen Aussage war aber nach dem Eindruck des Gerichts von deutlichen Unsicherheiten und Spekulationen geprägt. Zunächst teilte er mit, dass die Übergabe am 02.12.2015 bei der Klägerin im Laden gewesen sein müsste. Erst auf Nachfrage des Gerichts zum Kopieren teilte er mit, dass er wahrscheinlich nochmal gegangen sei, die Dokumentation bei ihm im Büro kopiert und sie der Klägerin dann in den Laden gebracht habe, was auch am nächsten Tag gewesen sein könne. Insofern wurde deutlich, dass er den genauen Zeitpunkt und die genauen Umstände der Übergabe nicht mehr angeben konnte. Schon seine Formulierungen deuten darauf hin, dass er keine genaue Erinnerung mehr hat, sondern z.B. Rückschlüsse aus dem Dokument zieht.
Da eine rechtzeitige Übermittlung der vorgelegten Beratungsdokumentation nicht nachgewiesen ist, ist für die Entscheidung des Gerichts – auch unter diesem Gesichtspunkt – vom Fehlen einer ordnungsgemäßen Beratungsdokumentation auszugehen.
2. Somit besteht unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen die Vermutung dafür, dass der Vermittler eine nicht dokumentierte Bedarfsermittlung oder Beratung nicht vorgenommen hat. Der Beklagte muss dann nachweisen, dass eine Beratung mit dem von ihm behaupteten Inhalt erfolgt ist. Dieser Beweis ist der Beklagten vorliegend nicht zur Überzeugung des Gerichts gelungen. Das Gericht konnte keine ausreichende Überzeugung gewinnen, dass der Zeuge A… die Klägerin insbesondere auf die Ausschluss einer vorzeitigen Rückzahlung des Kapitals hingewiesen hätte.
a) Der Zeuge A… teilte in seiner Befragung durch das Gericht zum Inhalt seiner Beratung zunächst nicht mit, dass er die Klägerin auf die mangelnde Zugriffsmöglichkeit hingewiesen hätte. Er teilte dann auf Nachfrage, ob auch besprochen worden sei, dass die Rente nicht vorzeitig zur Auszahlung kommen könne, mit: „Ja, das wurde besprochen.“ Auf Nachfrage, was gesagt worden sei, erklärte der Zeuge: „Ich habe gesagt, dass es sich um eine lebenslange Rentenzahlung handelt. Ich habe auch gesagt, dass insofern auch Zuzahlungen möglich sind. Hier geht es um eine Rentenleistung fürs Alter. Ich sagte dann, dass diese auch erhöht werden kann.“ In dieser Angabe findet sich aber kein (jedenfalls kein ausreichend deutlicher) Hinweis darauf, dass eine vorzeitige Auszahlung nicht möglich ist. Daher fragte das Gericht noch einmal konkret nach, was denn zu einem nicht möglichen vorzeitigen Zugriff gesagt worden sei. Hierauf äußerte der Zeuge: „Ich habe gesagt, dass es sich um monatliche Rentenzahlungen handelt und dass es sich nicht um eine Kapitalleistung handelt.“ Auch in dieser Angabe findet sich unter Zugrundelegung des Empfängerhorizonts des Versicherungsnehmers kein hinreichend konkreter Hinweis auf den nicht möglichen vorzeitigen Zugriff. Diese wichtige Tatsache hätte viel klarer und eindeutiger formuliert werden müssen. Obwohl also das Gericht insofern mehrmals nachfragte, schilderte der Zeuge keine Angabe durch seine Person, welche den Vorgaben zur Beratung im Hinblick auf eine Rürup-Rente ausreichend genügen würde.
b) Anschließend fragte die Klägervertreterin nach, ob mit der Klägerin besprochen worden sei, dass während der Laufzeit des Vertrages bei Bedarf ohne Auflösung des Vertrages eine Auszahlung möglich sein solle. Hierauf teilte der Zeuge Folgendes mit: „Ich habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass es sich um eine lebenslange Rentenzahlung handelt und eine Kapitalabfindung nicht möglich ist. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass sie dann, wenn sich der Laden stabilisiert hat, auch Zuzahlungen leisten kann. Es ging in den Gesprächen mit der Klägerin nicht darum, dass ihr eine Kapitalabfindung wichtig gewesen wäre oder dass sie eine Teilauszahlung gewünscht hätte. Diese Problemstellung kam dann erst später auf …“. Auch auf diese Nachfrage hin wiederholte er sinngemäß im Kerngehalt die bereits auf Nachfrage des Gerichts getätigten Angaben. Auch insofern findet sich wiederum kein ausreichender Hinweis darauf, dass eine vorzeitige Auszahlung aus dem angesammelten Kapital nicht möglich ist. Auch wurde insofern deutlich, dass der Zeuge A… diesen Punkt nicht als wesentlich betrachtete, nachdem die Klägerin nicht selbst hierauf den Fokus gelegt haben soll.
c) Bei Befragung durch auf den Beklagtenvertreter, was insofern genau zu diesem Produkt erklärt werde, teilte der Zeuge dann im weiteren Verlauf mit: „Der entsprechende Versicherungsvorschlag dazu wird von mir erklärt. Ich sage, dass es sich um ein steuerlich gefördertes Altersvorsorgeprodukt handelt mit festen tariflichen Werten und dass keine Kapitalauszahlung während der Laufzeit möglich ist. Das wird dem Kunden in der Regel so erläutert und wurde auch der Klägerin von mir so erklärt. Es wurde also auch besprochen, dass Teilauszahlungen nicht möglich sind.“ Erst an dieser Stelle tauchte also erstmals eine – hinreichend deutliche – Angabe auf, dass nicht vorzeitig auf das angesammelte Kapital zugegriffen werden kann.
d) In Anbetracht dieses Vernehmungsverlaufs konnte das Gericht keine ausreichende Überzeugung davon erlangen, dass eine Aufklärung über den nicht möglichen vorzeitigen Zugriff tatsächlich ausreichend konkret im Beratungsverlauf erfolgt wäre. Das Gericht konnte nach dem Verlauf der Vernehmung des Zeugen A… nicht den hinreichend sicheren Eindruck erlangen, dass der Zeuge A… hierauf tatsächlich konkret und verständlich genug hingewiesen hätte. Seine Angaben waren, auch angesichts der entgegenstehenden Angaben der Klägerin und des als Zeugen vernommenen Ehemanns, nicht für einen hinreichend sicheren Nachweis ausreichend. Unter den gegebenen Umständen und nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts war die Darstellung der Klägerin (kein Hinweis auf den Ausschluss einer vorzeitigen Rückzahlung) mindestens genauso plausibel wie der gegenteilige Sachvortrag des Zeugen A…. Auch der Betrag in Höhe von 240 € monatlich liegt im Übrigen in der Größenordnung des von ihrem Mann gezahlten Beitrages (250 € monatlich), was auch darauf hindeuten könnte, dass sich seitens der Klägerin tatsächlich eine Anlage wie die des Mannes hätte gewünscht sein können.
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Zeuge A… darauf hingewiesen hat, dass nach seiner Einschätzung für die Klägerin nur die Rürup-Rente wegen des nicht möglichen Zugriffs in der Insolvenz in Frage gekommen wäre. Die Klägerin hat dies allerdings in Abrede gestellt; auch der Zeuge H… negierte dieses Ansinnen. Zudem hätte es dem Zeugen A… nichtsdestotrotz oblegen, auf den nicht möglichen vorzeitigen Zugriff hinzuweisen, da die Klägerin als weitere Handlungsoption auch gänzlich von einem Abschluss hätte absehen können.
Daran ändert die Überlassung von Versicherungsbedingungen und Produktinformationen des Versicherers nichts. Der Versicherungsvermittler genügt der oben dargestellten Beratungspflicht nicht dadurch, dass er dem Interessenten eine Vielzahl von Unterlagen zur eigenen Auswertung zur Verfügung stellt (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.02.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787, unter Rekurs auf OLG München, VersR 2012, 1292).
IV. Es erscheint dem Gericht auch plausibel, dass die Klägerin den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn sie den Ausschluss einer vorzeitigen Rückzahlung des Kapitals gekannt hätte. Wie auch der Zeuge A… selbst bekundete, befand sich die Klägerin im Jahr 2015 in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Sie hatte, wie der Zeuge A… angab, die Praxis wohl sehr teuer angeschafft; viele Forderungen kamen auf die Klägerin zu, weshalb sie sich Hilfe durch die Herren B… und W… holte. Sie stand also noch am Beginn der Selbständigkeit. Zum Zeitpunkt des Abschlusses war sie 49 Jahre alt (geboren laut Antrag, Anlage B 1, am ….1966); die Aufschubzeit betrug 18 Jahre bei einem Rentenbeginnalter von 67 Jahren. Auch wenn ggf. bereits eine begleitende Insolvenz gegeben war, was offen blieben kann, lag damit aus wirtschaftlicher Perspektive eine Bindung von Beiträgen für eine private Rentenversicherung für 18 Jahre in dieser konkreten ungewissen Situation nicht zwingend nahe. Unter diesen Umständen war es durchaus nachvollziehbar, wenn sich die Klägerin für die Zukunft im Hinblick auf mögliche Wechselfälle des Lebens eine gewisse Flexibilität bewahren wollte, wenn sie wie vorliegend 240 € monatlich in eine private Altersversorgung investieren wollte. Zumindest ist es unter diesen Umständen in einer Gesamtbetrachtung nicht der einzig sinnvolle Weg, eine Rürup-Rente abzuschließen.
V. Auch liegt dem Zeugen A… eine weitere Pflichtverletzung durch den Rat zum Abschluss einer Rürup-Rente wegen der Wahl eines nicht geeigneten Produkts zur Last, worauf es letztlich aber nicht steitentscheidend ankommt.
Aus Beweislastgründen ist zum Versicherungsbedarf und zu den Angaben der Klägerin gegenüber dem Zeugen A… vom Sachvortrag der Klägerin auszugehen, da eine Dokumentation entsprechend den Verpflichtungen gem. § 61 Abs. 1, § 62 Abs. 1 VVG fehlt (s. oben). Die Klägerin war bei Abschluss des Vertrags 49 Jahre alt; der Zeuge A… wusste von der Übernahme der Praxis und den damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Damit musste ihm bewusst sein, dass die Situation der Klägerin mit so vielen offenen Fragen für die Zukunft behaftet ist, dass eine private Rentenversicherung mit einer Festlegung auf 18 Jahre und ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Rückzahlung nicht zweckmäßig war. Hinsichtlich des vom Zeugen A… geschilderten Anliegens der Klägerin, dass kein Zugriff auf die Anlage in der Insolvenz gewünscht gewesen sein soll, was die Klägerin in Abrede stellte, findet sich wiederum kein Anhaltspunkt in der Beratungsdokumention. Nachdem alle anderen objektiv erkennbaren Umstände gegen die gewählte Anlage sprechen, hätte dieses Anliegen, was als einziges grundsätzlich geeignet gewesen wäre, die Einschätzung zu ändern und damit sehr wichtig und entscheidend gewesen wäre, in der Beratungsdokumentation festgehalten werden müssen, was aber nicht der Fall war. An der Bewertung würde sich damit auch dann nichts ändern, wenn man unterstellen würde, dass die vorgelegte Beratungsdokumentation den Beratungsgesprächen zwischen dem Zeugen A… und der Klägerin inhaltlich entsprochen hätte. Denn die Eintragungen in der Dokumentation enthalten keine Angaben dazu, welchen Bedarf der Zeuge A… tatsächlich ermittelt hat bzw. welcher Bedarf von der Klägerin genannt wurde. Die Eintragung „Rürup“ sagt nichts über den konkreten Bedarf aus; nicht einmal der Zeuge A… gibt an, dass die Klägerin von sich aus eine Rürup-Rente gewünscht hätte. Dies reicht ohne weitere Details zu den Vorstellungen der Klägerin nicht für die Empfehlung einer Rürup-Rente.
VI. Nachdem beklagtenseits ohnehin vom Vorliegen eines Beratungsversäumnisses/-fehlers ausgegangen werden muss, kann dahinstehen, ob der Zeuge A… die zur Bedingung für die gewählte Anlageform gemachte Gegenprüfung durch den Steuerberater der Klägerin eingeholt hat.
VII. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines kausalen Schadens trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Versicherungsnehmer. Ihm kommt allerdings die Vermutung aufklärungs- und beratungsrichtigen Verhaltens zugute: Steht fest, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn der Rat ordnungsgemäß erteilt und befolgt worden wäre, so wird vermutet, dass sich der Versicherungsnehmer dem Rat entsprechend verhalten hätte (vgl. nur BGH, Urteil vom 08.05.2012, XI ZR 262/10, juris; OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.02.2014, 5 U 64/13, juris; Armbrüster in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 6 Rn. 319 m.w.N.; Filthuth in: Marlow/Spuhl, BeckOK-VVG, 4. Edition, Stand 01.07.2018). Der Aufklärungspflichtige muss daher beweisen, dass der zu Beratende auch bei richtiger Aufklärung das vorgeschlagene Produkt erworben hätte, er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte (allgemein: BGH, Urt. v. 12.05.2009, XI ZR 586/07, VersR 2009, 1370). Diese Kausalitätsvermutung gilt lediglich dann nicht, wenn der Anleger bei zutreffender Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Denn das Abstellen auf das Fehlen eines Entscheidungskonflikts ist mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr nicht zu vereinbaren (BGH, Urt. v. 15.10.2013, XI ZR 51/11).
Danach ist zugunsten der Klägerin zu vermuten, dass sie den vorliegenden Rürup-Vertrag beim Beklagten nicht abgeschlossen hätte, wenn sie entsprechend auf die oben dargelegten Vorteile und Nachteile der jeweiligen Rentenversicherungsmodelle hingewiesen worden wäre (vgl. zur Beweislastumkehr bei der Kausalität Prölss/Martin-Dörner, VVG, 31. Aufl., 2021, § 63 Rn. 17). Der Zeuge A… hätte als Vertreter der Beklagten der Klägerin vor Augen führen müssen, dass eine vorzeitige Auszahlung bei dem von ihm empfohlenen Vertrag nicht möglich war. Zu vermuten ist dann, dass die Klägerin in diesem Fall den entsprechenden Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Es ist plausibel, dass sich die Klägerin in ihrer damaligen wirtschaftlichen Situation bei einem Hinweis des Zeugen A… auf den Ausschluss einer vorzeitigen Auszahlung gegen eine Rürup-Rente entschieden hätte.
Die für das Gegenteil darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat weder hinreichend dargelegt, dass die Klägerin den Vertrag auch bei ordnungsgemäßer Beratung geschlossen hätte, noch entsprechenden Beweis angeboten. Sie hat sich die Angaben des Zeugen A… zur begleitenden Insolvenz nicht zu eigen gemacht; dieser Vortrag steht auch in Widerspruch zum klägerischen Vortrag hinsichtlich des gewünschten Produkts. Zumindest waren die diesbzgl. Angaben des Zeugen A… nicht überzeugender als jene der Klägerin und deren Ehemannes. Umstände zur Widerlegung der Kausalität sind nicht ersichtlich. Diese Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegt.
Die erforderliche Kausalität ist also gegeben.
VII. Der Klägerin ist ein Schaden in Höhe der gezahlten Beiträge (mtl. 240 Euro) entstanden. Ohne Abschluss des Vertrags hätte sie diese Beiträge nicht an den Beklagten gezahlt. Der mit der Beklagten geschlossene Vertrag ist damit rückabzuwickeln (vgl. OLG Köln, Urteil vom 26.07.2019, 20 U 185/18, BeckRS 2019, 30054).
1. Liegen die haftungsbegründenden Voraussetzungen – wie hier der Fall – vor, so hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer den durch die Verletzung der Beratungspflicht entstandenen Schaden zu ersetzen. Der Versicherungsnehmer ist nach dem Grundsatz der Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB, so zu stellen, wie er stünde, wenn die Beratung ordnungsgemäß erfolgt wäre (Armbrüster in: MünchKomm-VVG, 2. Aufl., 2016, § 6 Rn. 310 m.w.N.). Der Anspruch ist damit grundsätzlich auf das negative Interesse gerichtet. Hätte der Versicherungsnehmer bei ordnungsgemäßer Beratung den Vertrag nicht geschlossen, so hat er einen Anspruch auf Rückgängigmachung des Vertrags unter Zurückzahlung eingezahlter Prämien und Ersatz des Zinsschadens oder entgangenen Gewinns (OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.08.2000, 4 U 139/99, juris; vgl. auch Armbrüster in: MünchKomm-VVG, 2. Aufl., § 6 Rn. 310; Reiff in: MünchKomm-VVG, § 63 Rdn. 16 und 17; allgemein: BGH, Urt. v. 21.12.2004, VI ZR 306/03, NJW-RR 2005, 6; Rudy in: Prölss/Martin, VVG, 31. Auflage, 2021, § 6 Rn. 62, jeweils m.w.N.).
2. Es wurden Beiträge in Höhe von insgesamt 15.368,16 € gezahlt.
Zwar hat der Beklagte die geltend gemachten Ansprüche und Forderungen auch der Höhe nach bestritten. Allerdings bezogen sich die konkreten Einwendungen auf die Anrechnung des Versicherungsschutzes und Entreicherung, nicht auf die gezahlte Beitragshöhe. Beklagtenseits wurden auch keine hiervon abweichenden gezahlten Beiträge genannt.
3. Die Klägervertreterin stellte im Termin vom 14.07.2022 bei der Antragsstellung klar, dass die Beitragsrückerstattung unter Rückabwicklung des Versicherungsvertrages erfolgen soll. Da weitergehende Rückabwicklungsansprüche nicht geltend gemacht wurden und um dies auszuschließen, da es auch nach dem Klagebegehren mit der Rückzahlung sein Bewenden haben soll, wurde im Tenor klarstellend aufgenommen, dass die Rückzahlung unter Rückabwicklung des Vertrags erfolgt, so dass insofern keine weiteren Ansprüche mehr geltend gemacht werden können (bspw. spätere Auszahlungen etc.).
4. Die beklagtenseits geltend gemachte Anrechnung des erlangten Versicherungsschutzes greift nicht durch.
Zum einen ist bereits unklar, um welchen Versicherungsschutz es sich vorliegend genau gehandelt haben soll. Ausweislich des Faxantrages, Anlage B 1, wurde keine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Nähere Ausführungen, welchen Versicherungsschutz hier die Klägerin erlangt haben soll, fehlen. Eine Bewertung, auch im Wege einer Schätzung, ist so nicht möglich.
Zum anderen bezog sich die beklagtenseits hierzu zitierte Entscheidung des BGH, Urteil vom 07.05.2014, IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646, auf einen Anspruch gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1, 818 Abs. 2 BGB (der BGH konstatierte, dass im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der Versicherungsschutz angerechnet werden müsse, den der Versicherte jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrags genossen habe; erlangter Versicherungsschutz sei ein Vermögensvorteil, dessen Wert nach den §§ 812 Abs. 1 S. 1, 818 Abs. 2 BGB zu ersetzen sein könne). Die dort gegebene Konstellation (unbefristeter Widerruf von Lebensversicherungen nach dem Policenmodell) ist mit der hier zu entscheidenden Sachlage (Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung der Prämien wegen Beratungsfehlers) nicht vergleichbar.
Jedenfalls aber fehlt es an einem Vortrag der Beklagten zum Wert eines etwaigen Versicherungsschutzes unter Angabe der Bemessungsparameter.
5. Auch ist vorliegend keine Anrechnung etwaiger Vorteile durch eine etwaige steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge erlangten Vorteile vorzunehmen (hierzu auch OLG Köln, Urteil vom 26.07.2019, 20 U 185/18, BeckRS 2019, 30054). Dies ist beklagtenseits zum einen nicht geltend gemacht und zum anderen ohnehin nicht veranlasst. Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind zwar etwaige ersparte Steuern grundsätzlich anzurechnen. Dies gilt aber dann nicht, wenn die Ersatzleistung ihrerseits zu einer Besteuerung führen wird und dem Kläger die erzielten Steuervorteile deshalb nicht verbleiben (BGH, Urteil v. 23.09.2014, XI ZR 215/13, juris). Feststellungen über die genaue Höhe der Auswirkung der Versteuerung der Schadensersatzleistung müssen in der Regel nicht getroffen werden, es sei denn, der Schädiger legt – was hier nicht der Fall ist – Umstände dar, auf deren Grundlage dem Geschädigten auch unter Berücksichtigung der Steuerbarkeit der Ersatzleistung Steuervorteile in einem derart hohem Umfang verbleiben, dass es unbillig wäre, ihm die Vorteile zu belassen (BGH, Urteil v. 23.09.2014, XI ZR 215/13, juris).
6. Nachdem der Vertrag mit der Rückzahlung der Beiträge, auch nach der entsprechenden Antragstellung durch die Klagepartei, rückabgewickelt ist, ist kein Raum für einen Vorteilsausgleich des Wertes des vorhandenen Fondsvermögens.
VIII. Das Verschulden des Beklagten wird nach § 63 S. 1 VVG vermutet. Exkulpiert hat sich der Beklagte nicht.
IX. Ein anspruchsminderndes oder gar ausschließendes Mitverschulden der Klägerin nach § 254 Abs. 1 BGB liegt ebenfalls nicht vor, insbesondere nicht wegen fehlender oder unzureichender Durchsicht der übermittelten Vertragsunterlagen, auch wenn hierdurch ggf. erkennbar gewesen wäre, dass die Vorstellungen der Klägerin vom abgeschlossenen Vertrag unzutreffend waren.
Dem Geschädigten kann nicht seitens des Informationspflichtigen nach § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten werden, er habe dessen Angaben nicht vertrauen dürfen und sei deshalb für den entstandenen Schaden mitverantwortlich, da dies im Widerspruch zum Grundgedanken der Aufklärungs- und Beratungspflicht stünde (BGH, Urteil vom 13.01.2004, XI ZR 355/02, juris). Für einen Versicherungsvermittler gilt dies ebenfalls (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.02.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787, unter Rekurs auf Schwintowski in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 63 Rdn. 19; Dörner in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 63 Rdn. 15).
Der Interessent darf auf die mündlichen Angaben des Versicherungsvermittlers vertrauen und muss diese nicht nachprüfen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.02.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787; OLG München, VersR 2012, 1292).
IX. Auch die beklagtenseits erhobene Einrede der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB hinsichtlich der zum streitgegenständlichen fondsgebundenen Vertrag gezahlten Spar- und Kostenbeiträge (Abschluss- und Verwaltungskosten) greift nicht durch. Eine Anrechnung desjenigen Prämienanteils, der auf die Abschluss- und Verwaltungskosten entfallen ist, kommt vorliegend nicht in Betracht.
1. Zum einen ist vorliegend beklagtenseits schon gar nicht vorgetragen, in welcher Höhe diese Kosten angefallen sind.
2. Zum anderen ist diese Einrede auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Der Versicherer hat durch ein ihm zuzurechnendes Fehlverhalten wesentlich dazu beigetragen, dass der Vertrag rückabzuwickeln ist. Bei dieser Sachlage erscheint es nicht angemessen, den Versicherungsnehmer mit den Kosten für den Vertragsabschluss und die Vertragsdurchführung zu belasten, nachdem der Vertrag nunmehr rückabzuwickeln ist. Das Risiko, dass der Versicherer wegen dieses Fehlverhaltens seine Vertragskosten (in Gestalt der Abschluss- und Verwaltungskosten) unnötig aufgewandt hat, muss beim Versicherer bleiben (so auch OLG Hamm, Urteil vom 17.06.2015, 20 U 56/14, beckRS 2015, 11449, für den Widerspruch bei Kapitallebensversicherung, unter Rekurs auf OLG Köln, Urt. v. 05.09.2014, 20 U 88/14, juris). Diese Aspekte gelten für den hier gegebenen Fall entsprechend.
X. Der Beklagte ist schließlich auch nicht zur dauerhaften Leistungsverweigerung gem. § 214 Abs. 1 BGB berechtigt. Die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Die Forderung der Klägerin ist nicht verjährt.
1. Vorliegend gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB. Diese beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mangels anderweitiger Bestimmungen jedoch erst mit dem Schluss des Jahres, in dem (1.) der Anspruch entstanden ist und (2.) der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
2. Eine positive Kenntnis der Klägerin vom Beratungsfehler vor Mai 2021 (nach dem klägerischen Vortrag) ist beklagtenseits nicht vorgetragen. Durch die Zustellung der Ende Dezember 2021 erhobenen (Ausgangs-)Klage am 10.01.2022 wurde die Verjährung jedenfalls rechtzeitig gehemmt (§ 195 BGB, § 199 Abs. 1 BGB); auf § 167 ZPO kommt es insofern nicht entscheidend an.
3. Die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Unkenntnis kann auch nicht als auf einer groben Fahrlässigkeit der Klägerin beruhend angesehen werden.
Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat. Dem Gläubiger muss dabei persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, eine schwere Form von „Verschulden gegen sich selbst“, vorgeworfen werden können. Ihn trifft aber generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (BGH, Urteil vom 08.07.2010, III ZR 249/09, BeckRS 2010, 18203; Ellenberger in: Palandt, BGB, 78. Auflage 2019, § 199 Rn. 40 m.w.N.).
Daraus, dass die Klägerin die ihr überlassenen Unterlagen, die ihr eine entsprechende Kenntnis vermittelt hätten, nicht durchgelesen hat, lässt sich keine grobe Fahrlässigkeit herleiten. Auch wenn die überlassenen Produktinformationen und Versicherungsbedingungen in aller Regel eine große Bedeutung für die Information des Interessenten über das ihm empfohlene Versicherungsprodukt haben, beruht die unterlassene Kontrolle in der Regel gerade auf dem in den Versicherungsvermittler bzw. den hinter diesem stehenden Versicherer gesetzten und von diesem in Anspruch genommenen Vertrauen. Dieses Verhalten kann deshalb für sich allein genommen nicht als schlechthin „unverständlich“ oder „unentschuldbar“ bezeichnet werden (OLG Köln, Urt. v. 26.07.2019, 20 U 185/18, BeckRS 2019, 30054, m.w.N.; so auch OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.02.2014, 5 U 64/13, BeckRS 2015, 7787).
B.
Die Zinsansprüche ergeben sich im zuerkannten Umfang aus §§ 291, 286, 288 BGB.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.